Allerhand Unappetitliches. © Erich Reismann.

 

 

 

Rosmersholm. Ulf Stengl.

Schauspiel nach Henrik Ibsens gleichnamigem Stück.          

Elmar Goerden. Theater in der Josefstadt, Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 25. Februar 2020.

 

 

Bis zur Pause ist die Aufführung vortrefflich, danach gut. Im zweiten Teil ist die Spannung weg, und weggebrochen ist auch eine Figur: Wie immer bei Ibsen handelt es sich um den Jugendbekannten, der nach längerer Abwesenheit an den Ort der Handlung zurückkam, ins Bild gesetzt sein wollte über das während seiner Abwesenheit Vorgefallene und am Ende durch die Erhellung der Vergangenheit eine geladene Situation zur Explosion brachte.

 

Der erste Teil besteht demnach aus Exposition, Exploration und Präzipitation – zu deutsch: Darlegung der Verhältnisse, Auslotung der Schiefheiten, Beschleunigung. Den Gipfel bildet das "erregende Moment" (ein Terminus technicus aus Gustav Freytags Dramenlehre). Demgemäss läuft der erste Teil auf etwas hinaus. Das schafft Spannung. Anfangs sieht der Zuschauer nur ein Zipfelchen; dann wird an ihm gezogen; und am Schluss liegt sie da, die ganze Wurst.

 

Der Mann, der zieht – und damit Zug in die Sache bringt –, heisst im Stück Kroll; und in der Josefstadt Joseph Lorenz. Der Schauspieler hat ein ungemein ausgefeiltes Gesten­repertoire. Mit ihm drängt er das Ungesagte zurück. Auf den ersten Blick wirkt das Abbrechen der Sätze wie Nervosität, nein, Verlegenheit: Einer sucht Worte und findet sie nicht. Doch dann zeigt sich: Hinter der abgebrochenen Redeweise steckt Verstellung. Die Frau wittert das. Mit deutlicher Verstimmung legt sie Widerstand gegen den Besucher ein. Sie will sich und den Mann schützen, mit dem sie zusammenlebt. Auch wenn, nein: weil das Verhältnis zusammengehalten wird durch unausgesprochene Lügen und Egoismen.

 

Katharina Klar, welche die Rebekka gibt, wirkt sehr jungmädchenhaft. Ihr magerer Körper hat fast keine Brüste. Die blonden Haare kämmt sie nach hinten wie ein Junge. Damit wirkt sie so androgyn wie "der" Mignon in "Wilhelm Meisters Lehrjahren". Während aber die Begleiterin des blinden Harfners von Liebe, Leid und Schutzbedürftigkeit bewegt wird, ahnt man bei Rosmers Hausgenossin List, Verschlagenheit und Manipulation.

 

Der Mann aber, unter dessen Dach sie lebt, ist ein antriebsloser Feigling. Herbert Föttinger zeichnet ihn als "faux pur". Durch Wegblicken, Gewährenlassen und Heucheln zieht er Profit aus einer unhaltbaren Situation, bis im zweiten Teil der Zusammenbruch erfolgt. Und da eben ist die Spannung weg. Das zukunftslose Paar rührt nur noch Kot hin und her. Wie immer bei Abrechnungen kommt zwar noch allerhand Schreckliches und Unappetitliches zutage, aber das Spiel ist gelaufen, und ihm zuzuschauen nur noch mühselig.

 

Es ist damit nicht gelungen, Ibsens "Rosmersholm" zu retten, mit dem sich die Kritik seit seiner Erscheinung 1886 schwertat. Rudolf Stalder, der Hausautor der Emmentaler Liebhaberbühne, hat 2008 mit einer berndeutschen Adaptation unter dem Titel "Wyssi Ross" versucht, die Handlung unserer Zeit nahezubringen, gleich wie jetzt Ulf Stengl für die Josefstadt. Aber die Modernisierungen sind, wie man in Bümpliz sagt, Hans was Heiri. Statt gedruckter Zeitungen gibt es nun Internetseiten, und statt gefährlicher Linker Neonazis. Beate Rosmer sucht nicht mehr den Freitod, indem sie von der Brücke springt, sondern indem sie sich mit dem Benzinkanister aus der Garage anzündet. So what.

 

Gleichwohl wird man von einem Scheitern nicht reden können. Dafür ist die Aufführung, vor allem im ersten Teil, zu gut. Elmar Goerden versteht es als Regisseur, die Figuren auf leerer Bühne so zu beleben und zu bewegen, dass das Zuschauerinteresse dauernd wachgehalten und vorangerissen wird. Diese Leistung macht " 'Rosmersholm' von Ulf Stengl nach Motiven des gleichnamigen Stückes von Henrik Ibsen" sehenswert. Auch nach der Pause.

Rebekka: Jungmädchenhaft. 

Schmeichelnd. 

Verschlagen. 

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