Der Staatspräsident ist dumm und krankhaft selbstbezogen. © Annette Boutellier.

 

 

 

Island. Als Freunde sind wir erbarmungslos. Gornaya.

Schauspiel.                  

Konzert Theater Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 22. September 2017.

 

 

Am Anfang und am Schluss sieht man zwei Offiziere würfeln, um Macht oder Schlachtenglück. Worum es genau geht, ist nicht zu entscheiden. Aber das Genaue spielt in dieser Uraufführung auch keine Rolle. Sondern da geht es bloss um die Wiederkehr des Gleichen. Vietnam, Kambodscha, Syrien – alles eins.

 

Und so fragt man sich, während der Würfel im Becher klappert: "Wo hast du das schon gesehen? In 'Wallensteins Lager'? Oder in der 'Mutter Courage'?" Vermutlich in beiden. Ach ja, die ewig gleichen Bilder der Weltgeschichte. "Sie wiederholt sich nicht", sagen die Franzosen, "aber sie stottert."

 

Später wird ein nackter Oberkörper in eine Fahne eingewickelt wie in eine Toga. Und wieder fragt man sich: "Woher kennst du das? Aus 'Julius Cäsar'? Aus dem 'Prinzen von Homburg'? Aus einem Bild von Andy Warhol oder Roy Lichtenstein?"

 

Und in welchem Stück ist's neulich schon vorgekommen, dass David Berger ausgezogen wurde und seinen nackten Pimmel zeigte? Egal. Es ist nicht das erste Mal, und die Bilder wiederholen sich.

 

So verhält es sich auch mit dem einsam läutenden Schnurtelefon im Führerbunker. Niemand nimmt ab. Aus welchem Film kommt die Szene? Aus "Stalker" von Tarkowski? Oder aus einer Uraufführung im Kleinen Haus des Braunschweiger Staatstheaters? Genug, die Gedanken driften immer wieder ab, weil Denkvermögen und Interesse vom Stück nicht genügend herausgefordert werden.

 

Schon die Sprache ist beschränkt: "Aussergewöhnliche Situationen verlangen aussergewöhnliche Massnahmen", zitiert der Programmzettel einen Satz aus dem Stück, der seinerseits ein Zitat ist und damit deutlich macht, dass Politiker nur in Zitaten reden.

 

Demzufolge kann man die Vorstellung mit halber Akkuleistung absitzen. Man bekommt immer noch alles mit. So anspruchslos ist das Stück, das Gornaya zur Uraufführung vorlegt. Als ob es Arrabal, Brecht, Giraudoux, Havel, Hochwälder, Majakowski oder Schwarz nie gegeben hätte. Von Shakespeare, Schiller, Kleist, Grillparzer, Büchner nicht zu reden. O du heilige Einfalt! 

 

In "Island" bieten die Figuren keine Brüche und keine Rätsel. Der Staatspräsident ist einfach dumm und krankhaft selbstbezogen: "Lieg ich auf der rechten Seite, jucken die Pusteln, lieg ich auf linken Seite, jucken die Pusteln nicht weniger. Liegt der Mensch aber auf dem Rücken, starrt er in die Luft und muss zwangsläufig denken. Lieber denk' ich nicht."

 

Der Minister ist schleimig und glatt. Der Major rechthaberisch und stur. Der Diener gutartig, aber schwach. Eine arme Blunzen halt. Auf der Bühne des Welttheaters, wie sie sich die promovierte Literatur­wissenschafterin Gornaya vorstellt, ist das Personal in jedem Sinn beschränkt. Ob das stimmt? Oder gilt nicht auch hier: "Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul"? (Erich Fromm)

 

So zeigt die Bühne nun das alte, pfui, garstig' Lied in seiner allerbanalsten Version. In einer abgehobenen Sphäre bewegen sich die trotteligen Machthaber weit vom Volk entfernt. Sie haben keine Ahnung, wie es in der Wirklichkeit zugeht, denn sie leben nicht, sondern sind lediglich Puppen im mechanischen Ballett des Machtgetriebes.

 

Um das einsehen zu lehren, mutet das Berner Schauspiel jetzt dem Publikum achtzig Minuten im schwarzen Bunker von Vidmar 2 zu. Dabei genügen doch, wie die helleren Zuschauer wissen, die zwanzig Minuten zwischen Toffen und Weissenbühl vollauf, um sich die Bestätigung zu holen, dass alles stimmt, was man schon immer über Politik und Politiker wusste.

 

Um 1970 erklärte der spanische Philosoph José Ortega y Gasset: "Der Autor kommt von Auctor: der, welcher vermehrt. So nannten die Lateiner den Feldherrn, der dem Vaterland neue Provinzen erobert hatte." An diesem Anspruch gemessen, handelt es sich bei "Island" nicht um das Werk einer Autorin, sondern um die Collage einer Kompilatorin. Darum gehört "Island" in ein File. Nicht auf die Bretter.

Der Major (am Telefon) ist stur und rechthaberisch.

Die Machthaber sind Puppen im Ballett der Geschichte.

 
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