Das Stück hat eine Bombenrolle. © Ilja Mess.

 

 

 

Master Class. Terrence McNally.

Schauspiel.                  

Dieter Kaegi. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 28. Januar 2017.

 

 

Natürlich hat das Stück eine Bombenrolle. Und wenn sich ein schauspielerisches Urviech ihrer bemächtigt, ist der Erfolg garantiert. Am Wiener Volkstheater sorgte "Master Class" zehn Jahre lang für volle Häuser, und für ihre Darstellung der Callas erhielt Andrea Eckert 1997 die Kainz-Medaille. Aber das Schauspiel hätte sich nicht auf den Spielplänen der Welt halten können, handelte es sich bei ihm bloss um ein Virtuosenstück. Es muss etwas anderes hinzukommen. Und dieses andere ist das eigentlich Faszinierende: Das Stück nämlich führt den ganzen Abend nichts anderes vor als das Ringen um die Kunst.

 

Um dieses Ringen geht es schon bei den jungen Sängern, die sich für einen Meisterkurs bei der Callas eingeschrieben haben und jetzt nacheinander auftreten, um sich von der Diva prüfen zu lassen. Sie wissen, dass sie eine Stimme haben. Aber sie wissen nicht, warum sie singen. Reich möchten sie werden. Und berühmt. Sie möchten, dass ihnen das Publikum zu Füssen liegt wie der Callas seinerzeit die Premierengäste der Scala. Sie möchten von ihr ablernen, wie man das schafft. Und da kann die Callas nur die Hände ausstrecken und nein rufen: "Nicht so! Ganz falsch!"

 

Und damit kommt die erste tragische Ebene ins Spiel: Die Unmöglichkeit der Vermittlung. Die Callas ist keine Lehrerin. Sie ist keine Denkerin. Sie ist kein abgeklärter gebildeter Mensch. Alles ist bei ihr Instinkt und Gefühl. Darum ist das, was sie sagt, nur der Spur nach richtig. Man muss für das, was sie aussprechen möchte, ein Ohr haben und hinter ihren Primadonnengesten das eigentlich Gemeinte herausspüren. Doch das überfordert alle, die das Stück auf die Bühne führt.

 

Die Callas kann's nicht sagen, und die Jungen verstehen sie nicht. Sie glauben, die alternde Sängerin sei neidisch auf ihre Jugend. Sie denken, sie wolle Machtspiele treiben und ihnen ihren Stil aufzwingen. Sie meinen, die Callas sei egozentrisch und sehe nur sich selbst. - Damit ist eine zweite tragische Ebene erreicht: Die unüberbrückbare Kluft zwischen Talent und Genie.

 

Die Jungen nämlich täuschen sich. Natürlich hat die Callas Ohren. Das Stück weist es nach. Wenn Tony, der Tenor (Donovan Elliot Smith) Cavaradossis Auftrittsarie singt, wird sie im Innersten berührt. Und da fehlen ihr die Worte. Auch die unrichtigen. Sie kann sich nur noch stumm verbeugen und dem Tony alles Gute wünschen.

 

Was ist passiert? Hinter dem Falschen und Halbverstandenen kam plötzlich die Wahrheit zum Klingen, um welche die Callas ein Leben lang rang und welche die Genies (im Stück: Bellini, Verdi, Puccini) in Töne zu fassen verstanden. Diese Töne lebendig zu machen, den Menschen zu Gehör zu bringen und ihnen damit in einer grossen Begegnung das Jenseitig-Erhabene zu offenbaren, ist für die Callas das Ziel und die Aufgabe der Opernkunst.

 

In ihrem Verständnis ist nicht sie gross, die Diva, sondern die Musik, die uns durch sie erreicht. Aber das verstehen die Zuschauer nicht. Sie meinen, es gehe um die Macken eines abgehalfterten Stars, wo uns doch Terrence McNally einen Menschen zeigt, der mit letztem Ernst ringt um die Wahrheit der Kunst und die Wahrheit in der Kunst. Und so führt das Gekicher, mit dem das rührend hilflose Gestammel der Callas aufgenommen wird, als handle es sich um dekuvrierende Pointen, an die letzte tragische Schicht der "Master Class": "Sie haben Ohren und hören nicht."

 

In Biel-Solothurn ist es indessen so, dass einem Inszenierung und schauspielerische Realisation dieses Missverständnis nahelegen. Barbara Grimm gelingt es unter Dieter Kaegis Regie nur gerade, die Primadonnenallüren der Callas herbei­zurufen, nicht aber die Primadonna selbst. Damit bleibt sie dem Menschen, den sie verkörpern müsste, alles schuldig.

 

Auch ihr und ihrem Regisseur fehlten die Ohren. Zumindest nach dem Eindruck, den die Premiere vermittelte. Als Callas verlangt die Grimm von den Sängern Konsonanten und liefert sie selber nicht. Dabei würden das rollende R der Callas und ihre lateinisch-klare Diktion eine scharf gemeisselte, unvernuschelte Sprachgestaltung rechtfertigen, wenn nicht gar verlangen. Und das Insistieren der Callas auf der Wahrheit der Figur, die durch die Wahrheit der Situation gefunden wird, hat auf der Bühne nicht dazu geführt, dass Barbara Grimm das Wasser aus der Karaffe so einschenkt, dass man ihr die Callas glaubt. Wenn sie in der Handtasche kramt oder mit ausgestreckten Händen "Papapapa!" ruft, verraten die Details, dass sie noch nicht in ihrer Figur angekommen ist.

 

Enthusiastisch feiert das Premierenpublikum am Ende die Schauspielerin, die "Grande Dame" von Theater Orchester Biel Solothurn (so die Eigenwerbung), unberührt davon, dass den ganzen Abend lang bloss die Grimm auf der Bühne stand, nicht die Callas.

Die Unmöglichkeit der Vermittlung.

 
 
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