Die Blutspuren auf dem Trümmerhaufen der Weltgeschichte.

 

 

 

Giulio Cesare in Egitto. Georg Friedrich Haendel.

Oper.                  

Egon Mihailovič, Florentine Klepper, Martina Segna. Theater Freiburg i.Br.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. Februar 2017.

 

 

Regisseurin Florentine Klepper nimmt die Geschichte ernst. Und darum kommen nicht Drahtpuppen mit weit ausladenden Theaterkostümen auf die Bühne, sondern geschichtliche Personen: Caesar, Cleopatra, Ptolemäus und, in einer grotesken Kartonschachtel, der Kopf des soeben ermordeten Pompeius. Wir befinden uns in einem Land, in dem vier Armeen um die Herrschaft kämpfen: Die beiden römischen Bürgerkriegsheere von Caesar und Pompeius und die beiden ägyptischen Heere der königlichen Geschwister Ptolemäus und Cleopatra.

 

Das Zentrum der Macht aber, um deren Besitz die Häupter miteinander ringen, befindet sich auf der Bühne. Es handelt sich um eine moderne Art von Führerbunker. In ihm prallen vor unseren Augen die Interessen aufeinander; in ihm werden die Konkurrenten durch List, Intrige und Mord bekämpft. Und so löst die Inszenierung die starre Nummernfolge des ariosen Kunstgesangs auf in ein fein gewobenes, überaus konsequentes Kontinuum von Kausalitätsbezügen, in dem sich alle Aspekte der Macht ablesen lassen, wie sie am deutlichsten bei Warlords und Diktatoren zutage treten: die Vermischung des Privaten mit dem Öffentlichen, das Ineinanderfliessen von sexuellen, dynastischen, ökonomischen und strategischen Interessen.

 

Der Raum der Macht ist ein starker Raum. Es ist nicht leicht, hineinzukommen. Hat man ihn aber betreten, ist es auch nicht leicht, sich wieder aus ihm davonzustehlen. In der ganzen Caesarengeschichte hat's nur einer gekonnt: Romulus, der letzte römische Kaiser. Er ging nach seiner Absetzung durch den Germanenfürsten Odoaker in Pension. Dürrenmatt hat ihm ein Denkmal gesetzt. – In Ägypten aber, wo Julius erst auf dem Weg zur Monarchie ist, füllt sich die Bühne von Martina Segna mit Ermordeten, Hingemetzelten, Gemeuchelten, und das Liegengebliebene, Weggeworfene, Vergessene, Verlorene, Vernachlässigte symbolisiert in Form von zerknautschten (Pizza-)Schachteln, Blutspuren und zerbrochenen Gegenständen den Trümmerhaufen, den die Weltgeschichte auf ihrem Gang durch ein Land hinterlässt. Kein schöner Anblick. Aber an diesem Trash wird ablesbar, was Jacob Burckhardt, unser Mann auf der Tausendernote, in seinen "weltgeschichtlichen Betrachtungen" festhielt: "Und nun ist die Macht an sich böse, gleichviel wer sie ausübe. Sie ist kein Beharren, sondern eine Gier und eo ipso unerfüllbar, daher in sich unglücklich und muss also andere unglücklich machen."

 

Vom Raum der Macht ist das Volk ausgesperrt. Hier handeln die wenigen, die es hineingeschafft haben, ihre Geschäfte unter sich aus. So ist es nichts als folgerichtig, dass die Jubelchöre, die der Komponist an den Anfang und an den Schluss der Oper gesetzt hat, bloss durch scheppernde Lautsprecher eingespielt werden. Mit diesem Spielzug nimmt die Inszenierung auch den Aspekt der medialen Darstellung in ihre Reflexion über das geschichtliche Datum "Julius Caesar in Ägypten" auf.

 

Ihre wahre Überlegenheit aber gewinnt die szenische Realisation von Haendels Oper dadurch, dass sie den Schrecknissen von Mord und Verrat immer wieder eine komische Seite abgewinnt. Durch sie erst wird das Jämmerliche im Grossen, das Bemitleidenswerte im Abgefeimten erkennbar. Und auf diese Weise erreicht die Produktion eine Menschlichkeit, die sie aus den Niederungen der Ideologen und Betroffenheits­enthusiasten hinaufführt aufs lichtvolle Niveau der Shakespeareschen Universalität.

 

Hätte die musikalische Realisation der szenischen entsprochen, könnte man von einem Ereignis reden. Aber durch sein hölzernes Dirigat betrügt Egon Mihailovič die Partitur ums Aufblühen, und so bleibt das philharmonische Orchester Freiburg ein ganzes Stück hinter den "arts florissants" zurück. Die Solisten wiederum sind zu uneinheitlich, um den Zauber einer vollendeten, musikalisch pulsierenden und seelisch durchwärmten Darstellung heraufzubeschwören. Das muss der aufführungsgeschichtlichen Wahrheit halber auch gesagt sein.

Die Konkurrenten werden durch List, Intrige und Mord beseitigt.

Sexuelle, dynastische und strategische Interessen fliessen ineinander.

 
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