Günter Baumann zeichnet den Fuchs als ausgelassene Ulknudel und damit als behagliche Lustspielfigur. © Ilja Mess.

 

 

 

Volpone oder der Fuchs. Ben Jonson und Stefan Zweig.

Komödie.                  

Daniel Pfluger, Flurin Borg Madsen, Janine Werthmann. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 3. September 2016.

 

 

Vor genau neunzig Jahren hat Stefan Zweig in Potsdam seine freie Bearbeitung von Ben Jonsons boshaftem Lustspiel "Volpone" herausgegeben und darin das Original in Stil und Sprachgewand so weit übertroffen, dass seitdem auf den deutschen Bühnen nur noch seine Fassung gespielt wird. Und genau gleich lang, also neunzig Jahre, hat Biel darauf warten müssen, Zweigs Meisterkomödie begegnen zu können. Es hat zwar schon einen Ansatz gegeben, das Stück auf die Bretter zu bringen. 1969 war das, als die Post noch "Biel – Stadt der Zukunft" auf die Kuverts stempelte. Doch ein junger, engagierter Achtundsechziger, der es später beim Fischer Verlag Frankfurt a.M. mit Theoriebänden und Literatur-Editionen zu Ansehen gebracht hat, überzeugte damals mit dem Feuer seiner Beredsamkeit das Ensemble, die Produktion aufzugeben. Den Ausschlag gab das Argument, "Volpone" habe keine politische Relevanz.

 

Anders sieht man es nun am Jurasüdfuss ein halbes Jahrhundert später. Im Programmheft-Interview fragt die Dramaturgin Margrit Sengebusch den Regisseur: "Sind es auch Fragen nach Verantwortung und dem Umgang mit Geld, die das Stück heute politisch und gesellschaftlich relevant machen?" Darauf antwortet Daniel Pfluger: "Natürlich." Und so zeigen er und sein Bühnenbildner Flurin Borg Madsen den Reichtum, nach dem die Figuren der Komödie zweieinhalb Stunden lang gieren, nicht mehr als goldgefülltes Schwimmbecken wie bei Dagobert Duck, sondern – ein hervorragender Bildeinfall - als Blase. Hinter den unzähligen Dollarzeichen von Volpones Pfuhl und Pfühl befindet sich nichts als Luft; Luft, in die die Träume von Macht und Reichtum aufgehen. Dazu der Regisseur: "Mich interessiert vor allen Dingen der Aspekt der menschlichen Gier. Das ist für mich das zentrale Thema dieses Stückes."

 

Und gleichwohl hat auch der inzwischen pensionierte Achtundsechziger recht. Ben Jonson, der englische Dramatiker, der zur Zeit Shakespeares lebte und bis ins 19. Jahrhundert hinein als der grössere der beiden galt, schrieb sein Lustspiel nach dem Muster der antiken Lasterkomödie, an das sich noch Molière hielt ("Der Geizige"), aber auch Lessing ("Minna von Barnhelm") und Raimund ("Der Verschwender"). In der Lasterkomödie haben die Figuren einen Charakterzug, der ins Hypertrophe ausgedehnt wird: Bei "Volpone" die Gier, beim "Avare" der Geiz und bei Major Tellheim die Ehrpusseligkeit. Durch diese Einseitigkeit jedoch gerät, wie Dürrenmatt sagte, die Welt aus den Fugen. Die Dimensionen von Mass und Vernunft werden verzerrt, und das Spiel sprengt, wie nun das Bühnenbild in Biel-Solothurn zeigt, den Rahmen.

 

Der Achtundsechziger erkannte seinerzeit bei "Volpone" wohl die Kritik an der Gier. Aber Gier war für ihn ein individuelles Gebrechen, wie für Regisseur Pfluger: "Volpone kann man sich eigentlich als Junkie vorstellen, der nach seiner Triebbefriedigung giert und es reicht nie." Für den Leser von Marx aber sind nicht individuelle Defekte die Triebfedern der Geschichte, sondern die Strukturen der Verteilung von Macht und Reichtum.

 

Anderseits profitiert das Theater von Jonson/Zweigs bourgeoiser Sicht der Dinge ganz erheblich. Die Autoren liefern der Bühne scharf umrissene, prächtige Typen, und die Inszenierung bildet sie, zur Freude aller Zuschauer, auch getreulich ab. In einzelnen Momenten streifen die Darsteller gar die komödiantische Perfektion, allen voran Jan-Philip Walter Heinzel. Corvino, der Rabe, heisst seine Figur, und so erscheint sie auch mit ruckartigen Bewegungen von Kopf und Augen. Und eine komödiantischen Sternstunde gestaltet Heinzel, wenn Corvino sich windet und über-windet, um sein geliebtes Täubchen, die naive Ehefrau Colomba, für den Beischlaf mit Volpone freizugeben, durch den er sich das Alleinerbe zu sichern glaubt.

 

Nicht weniger beeindruckend ist Hannes Fischer als Corbaccio. Ein neuer Name am Theater Biel-Solothurn. Und ein Gewinn. Seine Wortdeutlichkeit ist ein Schmaus für die Ohren. Und seine zurückhaltende, aber präzise und von innen her kraftgefüllte Darstellung eines alten Wucherers stellt jene künstlerische Wahrheit unter Beweis, mit der man an der Burg seit ihrer Erhebung zum deutschen Nationaltheater am 17. Februar 1776 verfährt: "Less is more."

 

Erfreulich auch die Leistung der beiden Studierenden der Hochschule der Künste Bern, Lisanne Hirzel (Colomba) und Stephan Eberhard (Leone), die mit den Spenden von 41 Donatoren aus Solothurn und Umgebung den ersten Schritt in die Professionalität wagen konnten. Aber ihre Kostüme (Janine Werthmann) wecken die Frage, ob der gegebene Rahmen (tuntige Eleganz) der richtige sei.

 

Und diese Frage verschärft sich im Blick auf die Hauptgestalten Volpone und Mosca. Günter Baumann zeichnet den Fuchs als ausgelassene Ulknudel und damit als behagliche Lustspielfigur, wo Stefan Zweig doch für Volpone mit der Charakterisierung "ein reicher Levantiner" geschliffene Kälte und gerissene Geschäftstüchtigkeit verlangte. Ein eisiger Volpone aber, den das Lachen wie ein Flash oder Kick nur zeitweise übermannt, hätte die andern Figuren nicht bloss komisch, sondern bejammernswert erscheinen lassen. Und damit hätte die Inszenierung, wie der Achtundsechziger gesagt hätte, "Biss" bekommen.

 

Die Figur der "Schmeissfliege" (Mosca) wird gegeben wie ein Zögling der Dienerschule, die Robert Walser 1905 in Berlin besucht hat. Dass Tim Mackenbrock die Arme an den Leib presst und an sich hält, hat den Vorteil, dass ihm keine falschen Töne entweichen. Anderseits verhindert das Korsett der ausdruckslosen Neutralität, dass die einzige wahrhaft dynamische Figur im komödiantischen Getriebe nicht nur mit den Worten, sondern auch mit der Darstellung einen Bogen zeichnet, aufgebaut aus Leichtsinn, Artistik, Staunen, Ernüchterung, Einsicht, Furcht, Reue und schliesslich Läuterung.

 

Das Geniale an "Volpone" liegt ja darin, dass die beiden Strippenzieher auf offener Szene aushandeln, was sie als nächstes anstellen wollen. Mit diesem Kunstgriff wird das Interesse der Zuschauer darauf gerichtet, wie das Spiel mit den Menschen und ihrer Gier herauskommt. Dabei werden sie fasziniert von der atemberaubenden Sicherheit, mit der sich die Komödie auf dem Grat von Absicht und Umsetzung bewegt, oder, vornehmer ausgedrückt, gefangen der stupenden Dialektik von Intentionalität und Faktizität.

 

Die Erstaufführung des Lustspiels von Ben Jonson in der Fassung von Stefan Zweig in Biel-Solothurn hat also einiges von "Volpone" zur Darstellung gebracht, das Letzte aber noch nicht herausgeholt. Wir werden sehen, wie's der nächste Regisseur macht. In siebenundvierzig oder neunzig Jahren.

Das Geniale an "Volpone" liegt darin, dass die beiden Strippenzieher auf offener Szene aushandeln, was sie als nächstes anstellen wollen.

In einzelnen Momenten streifen die Darsteller die komödiantische Perfektion, allen voran Jan-Philip Walter Heinzel (rechts).

Erfreulich die Leistung der beiden Studierenden der Hochschule der Künste Bern, Lisanne Hirzel und Stephan Eberhard (links).

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