Je suis Fassbinder. Falk Richter.

Schauspiel.

Stanislas Nordey und Falk Richter. Théâtre National de Strasbourg im Théâtre National La Colline, Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Mai 2016.

 

 

Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass immer mehr Stücke auftauchen, gegen die man nichts haben darf, weil sie "das richtige Bewusstsein" haben, und dieses "richtige Bewusstsein" entzieht sie der Kritik. Schwer zu fassen, was sie sagen. Sie kommen als "Textfläche" daher, manchmal gar ohne Punkt und Komma, in jedem Fall aber ohne definierte Rollen. "Auf Grund der sich aus den letzten öffentlichen Arbeiten von Poinçon und Wattmann ergebenden Existenz eines persönlichen Gottes kwakwakwakwa mit weissem Bart kwakwakwa ausserhalb von Zeit und Raum der aus der Höhe seiner göttlichen Apathie göttlichen Athambie göttlichen Aphasie uns gern hat bis auf einige Ausnahmen man weiss nicht warum aber das kommt noch und so wie die göttliche Miranda leidet mit denen man weiss nicht warum aber man hat ja Zeit ..."

 

Wichtiger als das Was (vom Wie nicht zu reden) ist in den Stücken, gegen die man nichts haben darf, das Dass: dass es endlich gesagt wurde; dass endlich jemand dagegen aufgestanden ist; dass im Theater endlich wieder auf den Tisch gehauen wurde. Argumentation, Abwägen des Für und Wider, Infragestellung der Positionen (auch der eigenen), Fairness, Folgerichtigkeit, Gründlichkeit, Transparenz wird man vergebens suchen, geht es doch in den Stücken mit dem richtigen Bewusstsein lediglich darum, "Inhalte" "improvisatorisch" zu "entwickeln", "Haltungen" zu "denunzieren" bzw. "aufzuzeigen" und "Themen" "einzubringen". Programmheft: "Der Terrorismus, die Xenophobie, die Homophobie, der Antisemitismus, die Gewalt gegen Frauen ..." Kwakwakwakwa.

 

Neben den "Themen" aus der unmittelbaren Gegenwart (die Flüchtlinge, der neue Faschismus, die Abschottung der Grenzen, die brennenden Asylantenheime) zitiert der "Text" von Falk Richter, den der Autor mit Stanislas Nordey vom Théâtre National de Strasbourg in Szene gesetzt hat, auch Passagen aus je einem halben Dutzend Fassbinder-Werken und -Filmen. Die jungen Leute im Publikum wirken dabei gelangweilt oder irritiert. Die Alten aber, die wissen, wie die Masche läuft, stehen am Ende der Vorstellung auf und klatschen resolut, um zu dokumentieren, dass sie das richtige Bewusstsein haben und auf der richtigen Seite stehen.

 

Die Stücke, gegen die man nichts haben darf, sind ein Tribut an die Re-Ideologisierung unserer Zeit, in der auch wieder die Inquisition ihr Haupt erhebt: "Die Inquisition als solche ist, abgesehen von den Methoden und der Strenge der Konsequenzen, eine lebendige Institution geblieben. Die vielen Diktaturen des 20. Jahrhunderts haben sich auf sie gestützt, und in den freien Ländern entwickelte sie sich fallweise – bei der Hetzjagd auf deutsche Sympathisanten im Ersten Weltkrieg, bei der Internierung japanischstämmiger Amerikaner im Zweiten Weltkrieg und bei der Kommunistenverfolgung während des Kalten Kriegs. In den Vereinigten Staaten sind zur Zeit die Umtriebe der 'Political Correctness' an den Universitäten und die Sprachpolizei, die gegenwärtig Menschen und Körperschaften bestraft für den Gebrauch von Wörtern zu Themen, die als 'sensibel' gelten, Manifestationen des fortdauernden Inquisitionsgeists." (So der politisch unverdächtige Jacques Barzun in seinem kulturgeschichtlichen Überblick "From Dawn to Decadence".)

 

Selbstverständlich wird Falk Richters "Text" im Zustand der Erregung vorgetragen, selbstverständlich in einer Dramaturgie der Gleichzeitigkeit – man könnte auch sagen: des Mischmasch (drei Leinwände, ein Fernseher, sechs Spielflächen, alle simultan belebt), selbstverständlich mit Verstärkung der Sätze durch Video, Headsets und Mikrofone, die einen fortwährend vor die Frage stellen: "Wozu der Lärm?", und selbstverständlich unter Zurschaustellung des Pimmels des jüngsten und schönsten Darstellers. Diese Art Selbstverständlichkeiten – man könnte auch sagen: der Zeit geschuldeter Banalitäten – führte in Brechts "Arbeitsjournal" zum Seufzer: "lese eine arbeit über gorki und mich, von einer arbeiterstudentin in leipzig verfasst. ideologie, ideologie, ideologie. nirgends ein ästhetischer begriff; das ganze ähnelt der beschreibung einer speise, bei der nichts über den geschmack vorkommt. wir müssten ausstellungen und kurse für geschmacksbildung veranstalten, dh für lebensgenuss." Da sind wir wieder.

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