Don Giovanni. Wolfgang Amadeus Mozart.

Oper.                  

Jacopo Spirei, Bettina Richter. Salzburger Landestheater.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 27. Januar 2016.

 

 

Nach einer Karenz von fünf Jahren hat das Landestheater Salzburg seine "Don Giovanni"-Inszenierung wieder auf den Spielplan gesetzt. Es tat gut daran. Es wäre schwierig gewesen, eine bessere zu finden. Der italienische Musik- und Theaterwissenschafter Jacopo Spirei, der sich an der New Yorker Filmakademie das Handwerk holte, hat Mozarts "dramma giocoso" überzeugend nach cineastischen Gesichtspunkten umgestaltet und damit bewiesen, dass "Don Giovanni heute" möglich ist.

 

Zuerst fallen die Äusserlichkeiten ins Auge: Die Gebärdensprache der Jetzt-Lebenden, das i-Phone, die Baseballmütze. Der Held trägt keine Stumpfhosen, sondern Jeans. Der Commendatore zieht nicht den Säbel, sondern die Flinte. Leporello trinkt beim Warten Bier aus Aludosen der Salzburger Stiegl-Bräu, und sein Gesicht wird während der Auftrittsarie nicht von einer Nachwächterlaterne beleuchtet, sondern von den Schlitzen eines Halloween-Kürbis; das Hexenwesen dieser Nacht bildet das Vorzeichen zum entfesselten Treiben von Eros und Thanatos, die in eine ruhige Einfamilienhausgegend dringen, wo die Grundstücke mit Buchsbaumhecken und weissen Lattenzäunen säuberlich voneinander getrennt sind. Das Unbehagen in der Kultur ist da mit Händen zu greifen, und es leuchtet unmittelbar ein, welche Verführungskraft Don Giovannis schwarzer Kapuzenpulli in dieser geordneten Bürgerlichkeit entfaltet, zumal der Held gut gebaut ist, sich in seinen Turnschuhen federnd bewegt und mit einem unwiderstehlichen Lächeln ausgestattet ist, das alle bezwingt, Leporello wie Masetto, Zerlina wie Donna Elvira, Männer wie Frauen, und das Publikum ohnehin.

 

Die Wirkung des Regiekonzepts, das den Klassiker zum Reisser macht, basiert, wie gesagt, auf einem cineastischen Umgang mit der Bühne, um die starre Nummernoper in Fluss zu bringen. Nun führt die Handlung organisch von einem Moment zum andern, und die Inszenierung steigert den Wechsel von Rezitativ und Arie durch subtile Übergänge zu einem dynamischen Geschehen von zwingender Logik und Faszination.

 

Die Ausstattung von Bettina Richter leistet dabei Erhebliches. In den eher beengten Verhältnissen des Landestheaters bringt sie mit kluger Kombination von Drehbühne und beweglichen Elementen das optische Kontinuum hervor, durch das die Aufführung besticht. Damit gleitet der Salzburger Don Giovanni unaufhaltsam von Lebensfreude zu Lebensgier, von erotischem Taumel zu erotischer Sucht, von Übersättigung zu Überdruss, von Triebanarchie zu Lebensekel und schliesslich von Nihilismus zu Sehnsucht nach dem Tod, den ihm das Schicksal auch erfüllt – ohne jedoch Erlösung zu gewähren, und das ist in dieser hochintelligenten Aufführung die Hölle.

 

Wären Musik und Gesang auf gleicher Höhe mit der Regie, würde es sich lohnen, für "Don Giovanni" eigens nach Salzburg zu reisen. So aber bleibt die Oper ein beglückendes Ereignis für die Einheimischen und den zufällig vorbeifahrenden Kritiker. Regisseur Jacopo Spirei indes plant zur Zeit einen weiteren "Don Giovanni": Diesmal für die San Francisco Opera. Kein Zweifel: Die Theaterwelt hat gemerkt, was sie an ihm hat.

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