Ephebiphobia (Angst vor Teenagern). Tasmin Oglesby.

Schauspiel.                  

Dominik von Gunten. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 19. September 2015.

 

 

Von den drei Akten, die das Stück verlangt, hat Tasmin Oglesby nur den ersten geschrieben, wohl aus einer Mischung von Bequemlichkeit, Ideenlosigkeit und Angst. - Bequemlichkeit: Nach dem ersten Akt wäre die Autorin an die eigentliche, künstlerisch herausfordernde Arbeit gekommen. – Ideenlosigkeit: Nachdem das Publikum die Personen (Vater, Mutter, Tochter) kennenlernte, hätten die Akte 2 und 3 die Charaktere weiterentwickeln müssen (worin die eigentliche, künstlerisch herausfordernde Arbeit besteht). – Angst: Beim Zuendedenken der Schicksale bis zur "schlimmstmöglichen Wendung" (Dürrenmatt) hätten Autorin und Zuschauer den Boden des Vertrauten verloren, und sie wären in den Bereich des verstörend Neuen, Unheimlichen geraten, in dem die Kunst aber gerade liegt: "Der Künstler ist erst der wahre Künstler / wenn er durch und durch wahnsinnig ist ... Er darf nur kein Angsthase sein ... Aber welche Anstrengung" (Thomas Bernhard: Minetti). In seiner fabelhaften "American Pastoral" ist Philipp Roth diesen Weg gegangen bei der Erkundung der Fährnisse eines Ehepaars mit pubertierender Tochter. Das ist Grösse. Tasmin Oglesby ist vor ihrer Aufgabe zurückgeschreckt. Oder sie hat sie nicht gesehen. Oder nicht zu bewältigen vermocht. Gleichviel: Das Stück, das drei Akte haben müsste, bricht nach der Exposition ab, und "Ephebiphobia (Angst vor Teenagern)" bleibt im Bereich des familienfreundlichen Unterhaltungstheaters, statt vorzudringen zum wahrhaft ernstzunehmenden Schauspiel.

 

Jetzt wird lediglich die immergleiche Situation (Pubertät) durch eine Vielzahl von Episoden geschildert: "Du kommst zu spät zur Schule! Warum kannst du nicht lernen, deine Sachen am Abend zu packen?" – Oder: "Sag, wo warst du letzte Nacht?" "Im Bett." "Lüg nicht, du warst nicht zuhause!" – Oder: "Wo hast du die Tasche her?" "Aus dem Warenhaus." "Aber du hattest ja kein Geld! Hast du sie gestohlen?" "Ja." – Natürlich haben diese Szenen, die unverbunden nebeneinanderstehen (also auswechselbar sind und keiner Logik folgen) einen hohen Wiedererkennungswert, und mit diesem wohlfeilen Effekt kitzelt Tasmin Oglesby das Vergnügen der Zuschauer, weil alle, alle schon ähnliche Situationen durchlaufen haben. "Der Mensch ist ein Affe", sagte Alex Freihart, der vormalige Direktor des Städtebundtheaters, zu solchen Stücken. "Er macht nichts lieber, als sich im Spiegel zu betrachten." Und so kommt nun in diesem Spiegel "Facebook" vor, und das "Handy", und das "Downloaden" und das "Dschungelcamp", kurz, alles, was wir in unseren Tagen kennen und was unsere vertraute Welt ausmacht. Das Stück holt uns ab, wo wir sind, und es entlässt uns dort, wo wir standen. Das heisst: Es bringt uns nicht weiter, es führt zu keinen neuen Einsichten.

 

Nun würde ich mit der Autorin nicht so streng ins Gericht gehen, wenn sie nicht gezeigt hätte, dass sie etwas kann. "Ephebiphobia (Angst vor Teenagern)", wie der erste Akt heisst, trägt ja. Der Umriss der Figuren wird im Lauf von anderthalb Stunden immer deutlicher. Die Mutter, Lehrerin, zu Beflissenheit und Vorbildlichkeit erzogen, hat gelernt, ihren Job ohne Murren zu machen, und erwartet dieselbe Unterwerfung auch von der aufsässigen Tochter. Sie ist zwar nicht alleinerziehend, aber alleinerwerbend. Denn nach dem Muster, dass sich Gegensätze anziehen, ist der Vater konträr gestaltet: Als erfolgloser Porträtmaler ohne Aufträge hängt er im Bademantel den ganzen Tag daheim herum und versäuft den Barschrank, was seine Frau ignoriert.

 

Dieser Alkoholismus ist ein Teil der Lebenslüge, gegen die sich die Tochter aufzulehnen beginnt. Wie sie aber den Vater in einer ersten Tat von verantwortungsvoller Mündigkeit mit der unterdrückten Wahrheit konfrontiert, ist es mit der bohemienhaften Kumpelhaftigkeit des Alten vorbei: "Ich bin erwachsen! Ich kann machen, was ich will! Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig!" Um den Schein weiter aufrechtzuerhalten, wird er jetzt verschlagen und böse. Wie im Märchen von Hänsel und Gretel überzeugt er die Mutter, dass es für alle das beste wäre, wenn die Tochter aus dem Haus käme, in ein "Teenager Boot Camp", ein Erziehungslager.

 

Mit dieser schlimmen Wendung geht das Stück zuende. Der ungeschriebene zweite Akt müsste nun zeigen, wie es mit dem Paar weitergeht. Wahrscheinlich würde die Beziehung in heftige Turbulenzen geraten, weil keine Notwendigkeit mehr besteht, sich vor dem Kind zusammenzunehmen. Und dann der dritte Akt: Die Tochter kommt aus dem Erziehungslager zurück. Da kämen wir bei der Kunst an, und damit bei Thomas Bernhard: "Der Schauspieler hat Unheimlichkeit zu zeigen / Unheimlichkeit sonst nichts / nichts als Unheimlichkeit ... Die grossen Schauspieler haben ihr Publikum immer entsetzt / zuerst haben sie es hintergangen / und dann haben sie es entsetzt / in die Geschichtsfalle gelockt / in die Geistesfalle / in die Gefühlsfalle / hineingelockt in die Falle / und entsetzt".

 

So wie das Stück jetzt ist – familienfreundliches Unterhaltungstheater – hat es Dominik von Gunten feinsinnig und loyal inszeniert. Er hat die Bögen in den Figuren überzeugend herausgearbeitet. Den Vater spielt Günter Baumann lange Zeit im Stil der französischen Klamotte. Es ist ihm nicht ernst in der Rolle. Er gibt sie, wie die Ehemänner auf Abwegen bei Feydeau, mit einem Augenzwinkern: "Alles halb so schlimm!" Im Lauf des Abends aber zeigt sich, dass es nicht Baumann ist, der eine Maske trägt, sondern der Vater. Mit ihr verbirgt er vor den andern und vor sich die Angst, dass sein Versagen als Künstler, als Gatte und als Vater ans Licht kommt. Lieber lässt er die Tochter aus dem Haus bringen. Und so bezieht er aus dieser Angst heraus am Ende die Kälte festzubleiben, als die Mitwisserin gewaltsam entfernt wird.

 

Margit Maria Bauer gibt eine Mutter, die stark sein möchte, aber mit ihren Kräften am Ende ist. Der Vater spielt Haltung vor, sie ringt darum. Das macht sie menschlich und im Ausdruck vielfältig. Sehr berührend ihr Zusammenbruch in der Therapiestunde. Doch dann biegt sie das Schluchzen um in ein ironisches weibliches Lachen: "Bringen Sie alle Klienten am Ende zum Weinen?" Jaja, nickt der Freudianer innerlich: Ein klarer Fall von Therapiewiderstand! Im Unterschied zu Wilhelm Raabes Stopfkuchen, der durch die Maxime "Friss es aus und friss dich durch" zur Überlegenheit fand, weicht die Mutter dem "Gericht" (im doppelten Wortsinn) aus.

 

Schliesslich haben wir die Tochter (Tatjana Sebben). In diesem schauspielerisch einwandfreien Trio ist sie die bewegendste Kraft. Was allein ihr Gesicht zeigt, wenn sie der Therapeutin zuhört: Die Pubertät ist eine schwere Zeit, nicht nur für die Eltern. Und wie sich das Mädchen der Therapeutin (und damit den Zuschauern) öffnet und seinen lebendigen Kern zeigt, gerade da, wo es fürchtet, kein Herz zu haben – da ist die verstörende und verstörte junge Gestalt, die neben sich zu stehen meint, ganz bei sich.

 

So liegt "Ephebiphobia (Angst vor Teenagern)" bei dieser Produktion von Biel-Solothurn schauspielerisch und inszenatorisch in guten Händen. Fürs Publikum kein verlorener Abend. Aber für die Autorin eine vertane Chance.

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