Fast ein Poet. Eugene O'Neill.

Schauspiel.

Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 17. Oktober 1984.

 

 

 

Drei Rollen, aber keine Handlung

 

Das Stück des Nobelpreisträgers Eugene O'Neill enthält drei Bombenrollen. Also Rollen, in denen sich ein Schauspieler entwickeln kann. Im Verlauf des Abends beschreibt er einen Bogen; er verwandelt sich vor den Augen des Zuschauers. Und am Ende ist er ein anderer Mensch. Diese Möglichkeiten bietet das Stück drei Schauspielern an. Zwei haben sie benützt.

 

 

Cornelius Melody, so heisst der "Held", wird von Alex Freihart gespielt. Am Morgen kommt er mit steifen Schritten aus dem Schlafzimmer. Jede Bewegung schmerzt. Das Tageslicht blendet. Und das Hirn wird von einer eisernen Faust zusammengepresst. Cornelius Meldoy hat gestern zu viel getrunken. Und nun büsst er mit einem Affenkater.

 

Für einen Schauspieler wie Freihart ist dieser Auftritt ein Fressen. Denn in Cornelius Meldoy muss er nicht nur einen Säufer, sondern auch einen Gentleman zeigen. Also jemanden, der auch "am Tag danach" eine tadellose Haltung bewahrt. Er ist korrekt angezogen. Das Gesicht ist rasiert, die Haare sind gewaschen und onduliert.

 

Auf kurios verschlungene Weise wohnen zwei Seelen in Cornelius Meldoy: ein prahlerischer Damenmann und ein heruntergekommener Taugenichts. Der Schauspieler Freihart hat nun die interessante Aufgabe, den Konflikt zwischen diesen beiden Seelen zu entwickeln und zum Ausbruch zu bringen.

 

Er macht das mit unverkennbarem Genuss. Er zeigt, wie der verkaterte Säufer durch ein erstes Gläschen wieder flott wird, seine Würde zurückgewinnt und die Lebenslust wiederfindet. Leider aber zieht es ihn im Lauf des Tages immer wieder zum Schränkchen mit der Whiskykaraffe. Und der Schwung, den ihm der Whisky gibt, trägt ihn aus der Wirklichkeit hinaus in die Welt der Selbstüberschätzung und des Säuferwahns. Bis er am Schluss mit zerbeultem Gesicht auf den Boden der Realität zurückfällt.

 

Um den Wandel sichtbar zu machen, der mit Cornelius Meldoy im Lauf eines Tages vor sich geht, setzt Alex Freihart den ganzen Körper ein. Anfangs ist er vor Einbildung gebläht, und er wirft sich ins hohle Kreuz. Dann intrigiert er mit spöttisch gekräuselten Lippen. Und am Schluss baumeln seine Arme wie ein lebloses Stück Holz an seinem Körper.

 

Elisabeth Arno, welche die Tochter spielt, hat eine ebenso dankbare Aufgabe. Auch sie darf ihre Figur entwickeln, vom herben, rebellischen Mädchen zur liebenden, opferbreiten Frau. Das Wichtigste spielt sich bei ihr im Gesicht ab. Es zeigt Jubel und Zorn, und am Schluss glänzt etwas wie Liebe auf den geröteten Wangen. Stimme und Körperhaltung jedoch gehorchen Elisabeth Arno nicht im gewünschten Mass.

 

Als Ehefrau von Cornelius Meldoy wurde Gerda Zangger eingesetzt, die privat mit Alex Freihart verheiratet ist. Eine aparte Kombination, von der das Theater profitierte, weil sich das Paar zu Höchstleistungen anstachelte.

 

Zwar ist Nora Melody von Autor und Leben gleichermassen vernachlässigt worden. Aber Gerda Zangger findet für die unbedeutende Frau eine ganz starke Szene. - Gegen Ende des Stücks sitzen Mutter und Tochter nebeneinander an der Rampe. Aus der jungen Frau strömt der Jubel erfüllter Liebe. Und die alte sitzt da, stumm, abwesend, kummervoll. Ruhelos kneten die Hände in ihrem Schoss, auf und zu, auf und zu, und durch diese verkrampfte Bewegung verraten sie, wie heftig es im Innern der reglosen Nora tobt.

 

Das Stück des Nobelpreisträgers Eugene O'Neill ist schlecht gemacht. Ein unbeholfener Dialog bringt die Handlung kaum vorwärts. Dem Ganzen fehlt es an Esprit und Humor. Aber das Stück enthält drei Bombenrollen. Bilanz: Es empfiehlt sich, das Theater der Schauspieler wegen aufzusuchen.

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