Draussen vor der Tür. Wolfgang Borchert.

Schauspiel.

Peter-Andreas Bojack. Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 13. März 1985.

 

 

Ein Aufschrei gegen den Krieg

 

Als er starb, war er 26jährig. Das war 1947. "Krieg und Kerker", schreibt Heinrich Böll, "hatten seine Gesundheit zerstört". Im gleichen Jahr kam sein Stück heraus: "Draussen vor der Tür". Als Hörspiel. Später wurde es für die Bühne bearbeitet. "Poetisch" hat das Stück damit verloren. "Politisch" aber hat es gewonnen: Weil es mehr Menschen erreicht. Sogar uns...

 

 

Müsste die Schweiz morgen mobilisieren, dann – so befürchte ich – würde das Stück abgesetzt. "Es macht mutlos", würde der Regierungsstatthalter sagen, "und es zersetzt die Wehrkraft".

 

In der Tat: "Draussen vor der Tür" hat eine pazifistische Tendenz. Es handelt davon, wie die Welt nach dem Krieg aussieht. Und davon will man vor einem Krieg nichts wissen.

 

In seinem schlichten Ablauf ist das Stück also hochpolitisch. "Wehrkraftzersetzend" eben. Weil es zeigt, wie verbeult einer "nachher" zurückkommt, von der Front, aus der Gefangenschaft.

 

Beckmann, so heisst der Heimkehrer, Beckmann bringt aus dem Krieg ein steifes Bein. "Als Andenken", sagt er, und lacht dazu. Verzweifelt. Nun will er nach Hause. Und findet daheim seine Frau in den Armen eines andern. Also geht er wieder. Klopft an die nächste Tür. Die übernächste.

 

Auf dieser Suche geht es ihm, Beckmann, wie dem "Menschensohn" in Neuen Testament: "Die Füchse haben Gruben, die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, wo er sein Haupt hinlege."

 

"Man" hat schlicht keinen Platz mehr für ihn. Weil er nichts gelernt hat – ausser dem Kriegshandwerk. Die Welt ist schon verteilt. Sorry.

 

So bleibt er allein. Mit der Erinnerung an die Kriegsgreuel. Und mit dem unerträglich schlechten Gewissen, weil von seiner Gruppe elf Mann im Kampf verlorengingen.

 

Am Schluss sucht Beckmann – wie unzählige vor ihm – das Wasser auf. Im Schoss der Elbe, da will er Ruhe finden. Wir andern jedoch, wir Behausten, Angestellten, Pensionsberechtigten, wir können uns der Frage nicht mehr entwinden, was wir denn für "unsere" Nächsten tun.

 

"Ich bin deprimiert", sagte mein Papa nach der Vorstellung. "Als das Stück nach dem Krieg auftauchte, dachten wir: Das wird dem Hintersten und Letzten die Augen öffnen. Die Menschen werden begreifen, dass ein Krieg nie mehr vorkommen darf.

 

Und jetzt sehe ich das Stück nach 35 Jahren wieder, und ich muss sagen: Es hat sich nichts verändert. Wir sind überhaupt nicht vorwärts gekommen, im Gegenteil."

 

Schweigend denkt jeder ans Gleiche: An die Atombomben. An die Rüstungsspirale. An die Hungerkatastrophe. An "Star Wars". So kommen wir zum Bahnhof. Und da stehen sie herum, in der zugigen Halle, die Tamilen, unsere Brüder, draussen vor der Tür...

 

Das Stück hat ein grosses Thema: "Nie wieder Krieg." Und es hat ein tiefes Anliegen: "Unser Manifest", schrieb Borchert, "ist die Liebe."

 

Unter diesen Umständen ist es verfänglich, von Schwächen zu reden. Der Kritiker erscheint dann gleich als fühlloser Miesmacher. Vor allem, wenn das Stück – was hier der Fall ist – durch den frühen Tod seines Autors verklärt wird. Also schweigen wir über die Machart.

 

Das hindert uns ja nicht, von der grossen Leistung Beat Albrechts zu sprechen, der den Beckmann spielt. Zur Erinnerung: Er kam vor sechs Jahren zum Ensemble. Im Fach des "Naturburschen" spielte er den Hirten im Sommerstück vom "Advokaten Patelin" (die Titelrolle hatte Günter Rainer). Dann sah man ihn als "zweiten Liebhaber". Später wurde er "erster Liebhaber", aber das war nicht seine Stärke. Überdurchschnittliches leistet er im Charakterfach. Weil er zu den wenigen gehört, die sich verwandeln können, und die sich von Stück zu Stück neue Ausdrucksmöglichkeiten zulegen.

 

Als Beckmann nun ist Beat Albrecht unübertrefflich. Aber vielleicht ist eine solche Feststellung nicht gerecht. Weil auch sonst einiges an Qualität in dieser Aufführung zusammenkommt. Da treten die altbekannten Schauspieler auf – und man merkt: Es ist gearbeitet worden. Die Sprache stimmt. Das Licht stimmt. Die Musik (Ben Jeger) stimmt. Mit einem Wort: Diese Inszenierung trägt die Handschrift von Peter-Andreas Bojack.

 

In Solothurn soll man kaum mehr Platz für die restlichen Aufführungen finden. In Biel – so vermute ich – wird man in den nächsten Tagen ähnliches zu Gehör bekommen.

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