Kiss me Kate. Cole Porter.

Musical.

Paul Hess, Anna Vaughan, Manfred Schröter. Stadttheater Bern.

Berner Zeitung, 15. April 1986.

 

 

Ein Schmaus für Auge und Ohr

 

Mit "Kiss me Kate" kam Cole Porter 1948 zu Weltruhm – zu Recht: Das Musical ist hervorragend geschrieben, und der Komponist vornehm genug, seine Ohrwürmer nicht bis zur Banalität auszuwalzen. Das Stadttheater Bern bringt eine Neuinszenierung, die Auge und Ohr gleichermassen umschmeichelt.

 

Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" ist ein grauenhaft frauenfeindliches Stück. Da wird gezeigt, wie "man" eine Frau brutal abrichtet: "Küss mich, mein Mädchen! Nun Käthchen, komm zu Bette..." Und sie, vordem klug und eigenständig, folgt dem Gatten wie ein Hund.

 

Dieses Stück hat die Vorlage für Porters Musical abgegeben. Und mir ist noch die langweilig biedere Aufführung erinnerlich, die das Berner Stadttheater zu Silvester 1969 herausgebracht hat. Solchermassen mit Vorurteilen gepolstert, gehe ich ins Theater. Schaue zu, wie sich die Ränge füllen. Tänzer und Solisten finden sich ein, schwatzen, stricken, turnen.

 

Und plötzlich springt unten im Graben das Orchester an. Ein sanftes Brummen, wie wenn ein Cadillac anspringt. Und du lehnst dich zurück, geniesst die weiche Polsterung der Streicher, das Chromstahlblitzen der Bläser. Der Dirigent legt den dritten Gang ein. Hörst du, was für Reserven in diesem Motor, will sagen: diesem Orchester, stecken? Ein solcher Drive ist Qualitätsarbeit!

 

Oben auf der Bühne lenkt eine unsichtbare Hand den Verkehr. Anna Vaughan, die für Inszenierung und Choreographie zeichnet, versteht es meisterhaft, die Massen zu organisieren. Jeder Ablauf stimmt, und trotzdem wirkt alles lebendig, luftig, leicht. Die Musik, sanft swingend, erotisch pulsierend, erreicht den hintersten Figuranten. Und jetzt gleicht die Bühne einem wogenden, tanzenden, drehende Meer von Armen und Beinen und Körpern. Finale, ein Spitzenton der Trompeten, und schon reisst es dir die Hände aus dem Schoss: Applaus, Applaus, Applaus! Das Haus ist gewonnen, der Kritiker besiegt, das Publikum hingerissen.

 

So hat es angefangen, das Musical von Cole Porter, am Sonntag abend, im vollbesetzten Berner Stadttheater. Alles Grossartige war ausgezeichnet: Die Ensembleführung von Anna Vaughan, die Ballett, Chor, Statisterie und Solisten aufs geschickteste ineinander verwob. Ausgezeichnet auch das Bühnenbild von Manfred Schröter, mit seinem wirkungsvollen Wechsel von naturalistischen und malerischen Dekorationen.

 

Effektsicher und doch wohltuend sparsam wirkte die Lichtführung von Otto Kucis. Und schliesslich musizierte das Berner Symphonieorchester hinreissend präzis, dynamisch, klangsatt, unter der beschwingten Stabführung von Paul Hess.

 

Dieses erfreulich hohe Gesamtniveau indes konnten die Solisten über weite Strecken nicht mithalten. Und so fielen alle intimen, persönlichen Momente ab: Weil es den Darstellern an Ausstrahlung, Metier, Stimme fehlte. Da gab es welche, die konnten zwar tanzen, aber nicht reden (Stefan Lutz). Andere konnten reden, aber nicht singen (Ingrid Habermann). Und der Hauptdarsteller (James Brookes) konnte weder reden, noch singen, noch tanzen. Friede sei ihm. Käthchen (Carole Alston) ist als Poster zu haben. Und da ist sie auch am besten: zum Anschauen. Sie ist fabelhaft gebaut und hat ein hinreissendes Lächeln. Darum, Boys, auf ist Stadttheater! Es gibt was zu sehen!

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