L'Éclipse de l'Indien.

Schauspiel.

Gastspiel des Théâtre du Chêne Noir, Avignon, in Biel.

Bieler Tagblatt, 24. Februar 1973.

 

 

Das Thema, welches das Théâtre du Chêne Noir aus Avignon im Gastspiel vom letzten Montag behandelte, ist an sich derart banal, dass es keiner Erwähnung bedürfte. Es geht um jene selbstsüchtige "société", die das Individuum auf alle möglichen Weisen gefügig macht und es von seinen ersten Lebensjahren an zu konformem Verhalten dressieren will. Das Spiel zeigt, wie das Individuum, "l'Indien", zu seiner Eigenart steht und wie es ihm in der Folge gelingt, den Zwängen auszuweichen und den Ansprüchen zu entwischen.

 

Dass sich der Besuch der Aufführung gleichwohl gelohnt hat, liegt an der Art, wie der Stoff dargestellt wurde. Über seine originelle und reizvolle Verarbeitung also ist zu berichten, über die gelungene Konzeption, die das Ganze nicht im sog. realistischen Stil darzubringen sucht, sondern es vielmehr dem Clownischen annähert. In der Folge sehen wir keinen einzigen "natürlichen Menschen" mehr auf der Bühne, sondern es treten Zwerge, Krüppel, Hermaphroditen auf, lauter groteske Gestalten in merkwürdigen, unheimlich packenden Masken. Das Anstreben des rein Theatralischen nun ermöglicht das Phänomen, dass uns plötzlich die scheinbar ästhetische Darstellungsweise mehr zeigt als bloss Ästhetisches und dass das Spiel Bedeutung weit über den Bereich der "sozialistischen" Gesellschaftstheorie hinaus erlangt.

 

So kommen in der Folge Bilder von wahrhaft künstlerischer Prägnanz zustande, vorab die rhythmisch packende Sequenz des "au travail!", wo die ganze Hierarchie der Gestalten zu den Klängen einer Trommel in Bewegung gerät. Die Partien, in denen ein oder mehrere Instrumente ins Spiel einbezogen wurden, sind bestens gelungen und scheinen die Schauspieler zu besonderem Elan beflügelt zu haben. Doch in all ihrer Schärfe blieben die Bilder immer Symbole für die Situation des Menschen und nie blosse Allegorien. So wiesen sie denn hinab ins letztlich Unfassbare, wie überhaupt die Konstruktion des Stückes das Ungeformte und doch stets Präsente auf hintergründige Art bloss umspannte, nicht aber erfasste.

 

Im Umstand jedoch, dass das Stück vielfältiger ist, als es sich gibt, sind wohl auch die Schwächen der Aufführung zu suchen. Die Inszenierung nämlich schien nicht an allen Stellen gleich durchdacht, die heterogene Vorlage hatte leider auch heterogene Stilebenen zur Folge, die das Clownische zeitweise verliessen, um sich im Modisch-Gängigen zu ergehen, so beispielsweise das Reizwort "Coca-Cola" der Lehrerin. Solche billigen Inkonsequenzen aber führen nicht weit, und gerade diese Szene wäre ohne das "Coca-Cola" ebensogut verstanden worden.

 

In diesem Zusammenhang werden wohl auch die Gefahren des kollektiven Inszenierens erkennbar: dass im Arbeiten, ungewollt zwar, die starken Stellen ein Eigenleben zu führen beginnen, welches der Geschlossenheit des Ganzen nicht dienlich ist, und dass man anderseits auf die Übergänge zu wenig acht gibt, die doch die Bezüge zwischen den einzelnen Teilen herstellen sollten. Trotz dieser Einwände aber muss der Theatergruppe aus Avignon attestiert werden, dass sie sich auf einem verheissungsvollen Weg befindet, dessen Verlauf man gerne weiterverfolgt.

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