König Ubu. Alfred Jarry.

Groteske.

Peter Kopf. Zähringer-Theater, Bern.

Der Bund, 2. März 1978.

 

 

Alles Groteske der Welt

 

Man kommt sich, beim Betreten des Zähringer-Theaters, beinahe vor wie auf einem grossen, geheimnisvollen Estrich. Am Boden liegen vergessene Konfettis, schlaffe Girlanden hängen herum, die Vorhänge sind leicht schmuddelig, die Lampen angestaubt, und allenthalben stösst man auf alte, abgelegte Gegenstände, die nur darauf zu warten scheinen, dass Phantasie sie belebt. Mit einem Wort: Das Zähringer-Theater ist zu einem Raum hergerichtet worden, der im Zuschauer Freude am Spiel und an der Verwandlung weckt, noch bevor das Stück angefangen hat. Quere durchs Publikum zieht sich ein Laufsteg bis zur Bühne, so dass die Schauspieler von mehreren Seiten her auftreten können: totales Theater für den totalen Ubu.

 

Ubu ist nämlich mehr als ein Stück. Seit Alfred Jarry als Gymnasiast dem Ubu in der Figur seines Physiklehrers begegnet war, kam er nicht mehr von ihm los. Von Anfang an war Ubu mehr als ein Typ. Er bedeutete "tout le grotesque qui est au monde". Ubu ist jener Stoff, aus dem die Tyrannen sind, und zugleich das, was in unser aller Seelen zuunterst liegt: die Brutalität, die Selbstliebe, die Raffsucht, das Vergnügen am Schweinischen. Was Jarry für die Kasperlebühne entdeckt hatte, wies Freud später in jedem Menschen nach. Ubu ist somit: die Lehre vom Unbewussten "avant la lettre".

 

Die Voraussetzungen für eine mitreissende Inszenierung waren mithin gegeben: ein elementares, farbiges Stück und ein traumhafter, mit Atmosphäre vollgeladener Theaterraum. Dass man nach der Aufführung trotzdem bald von Ubu loskam, muss somit an den Schauspielern liegen, auch wenn man ihre Premierennervosität in Rechnung bringt.

 

Es gelang ihnen nämlich nur unvollständig, eine aus dem Herzen kommende Spielfreude aufzubringen. Nie verliess einen das Gefühl des Krampfs, mit dem sie sich um Ausgelassenheit und Leben bemühten. Und wer gerade unbeschäftigt auf der Bühne stand, fiel leicht ins Private zurück. Die Gesichter hinter den Halbmasken erschlafften dann und wurden leer.

 

Peter Kopfs Regie war in den Einzelheiten einfallsreich, liess aber eines vermissen: den Wechsel der Töne. Es gab kaum Momente der Stille, der Poesie, des Zur-Ruhe-Kommens. So musste beispielsweise Brigitte Bissegger den ganzen Abend lang als Mutter Ubu auf einer einzigen Saite spielen; ihr Spiel blieb der Darstellung eines keifenden Weibsstücks verhaftet. Einzig Rudolf Boppers Vater Ubu fiel aus dem Rahmen der Inszenierung. Er erschien weich und beinahe lebensmüde, die grauenerregende Vitalität und Selbstliebe dieser Figur, die vor Mord und Verrat nicht zurückschreckt, kam damit aber nicht mehr zum Ausdruck.

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