Alex Freihart, Direktor des Städtebundtheaters Biel–Solothurn.

Interview.

Bieler Tagblatt, 9. Juli 1978.

 

 

Er war ruhig, überlegt, entspannt, und seine Gebärden strahlten Selbstvertrauen aus, keine Spur von Hast oder Nervosität – so wirkte Alex Freihart während des zweistündigen Interviews. Ein geborener Direktor, der in einem stürmischen Betrieb, wie ihn ein Theater darstellt, das Steuer fest in der Hand hält und als ruhiger Pol für Kontinuität und Entkrampfung sorgt.

 

Auf der andern Seite aber hatte der Raum, in dem unser Gespräch stattfand, nichts Direktoriales an sich: Er ist in einen Zwischenboden gepfercht und damit niedrig und eng; die Fenster sind auf Nabel- statt auf Augenhöhe angebracht. Die Ausstattung selbst ist wenig repräsentativ und in keiner Weise beeindruckend. Das Konferenztischlein mit seinen vier Stühlen verrät billigste Ausführung, das Direktionspult ist zwar geräumig, aber nicht von ehrfurchtheischender Wucht. Das Büro gleicht somit eher einer Werkstatt als einem Konferenzraum.

 

Die Person Alex Freiharts nimmt diesen Zwiespalt auf: Er ist zwar Direktor des Städtebundtheaters Biel–Solothurn, aber es fehlt ihm das patronale Gehabe. Was diesen Menschen interessiert, welche Rolle ihm auf den Leib geschrieben ist, die des Direktors oder die des Regisseurs, welche Ansichten ihn bestimmen, das galt es im Gespräch herauszufinden.

 

Bieler Tagblatt: Wenn Sie, Herr Freihart, Ihre Biographie überblicken, was dünkt sie charakteristisch für ihre Person?

 

Alex Freihart: Dass ich wahrscheinlich jemand bin, den neue Aufgaben reizen. Ich habe in Zürich Kleintheater gemacht, als es ausser Schauspielhaus und Bernhardtheater keine Sprechbühnen gab, ich half das "Theater für den Kanton Zürich" auf die Beine stellen und übernahm hier das Städtebundtheater in einem Moment der Krise. Es ist meine Berufung, risikoreiche Unternehmen zu managen. Daraus erklärt sich auch mein Hang zu Uraufführungen. Mich interessiert es, an etwas zu arbeiten, das noch nicht oder erst in Ansätzen besteht.

 

BT: Dann macht es Ihnen wohl auch nichts aus, mit schwierigen Schauspielern zu arbeiten?

 

Freihart: Im Gegenteil, solche, die mit sich und mit den andern Schwierigkeiten haben, müssen das hervorgrübeln, was sie darstellen wollen. Und das hält dann. Bei jenen, die es leicht haben, verflacht das Erreicht meistens schnell wieder. Wenn ich Regie führe, trachte ich deshalb danach, es niemandem zu leicht zu machen. Ich gehe relativ schnell durchs Stück, dafür aber viel, viel öfter als andere. Denn ich misstraue mir selber. Wenn ich an zwei Seiten Text zwei bis drei Tage arbeite, habe ich mich so daran gewöhnt, dass ich aus dem Gleis kaum mehr herauskomme. Wenn ich aber schnell vorwärts gehe, kriegen die Schauspieler und ich nicht so schnell das Gefühl der Sicherheit. Der Gewinn für den Schauspieler ist: Er lernt auf diese Weise die Spannweite seiner Rolle kennen; er erhält einen Rahmen, den er im Verlauf der Proben nur noch ausfüllen muss. Und ich selber sehe dann, was aus dem Text alles herauszuholen ist, beisse mich jedoch nicht fest. Natürlich ist es anstrengender, so zu inszenieren. Man muss sehr konzentriert arbeiten und achtgeben, dass man den Faden nicht verliert.

 

BT: Und was möchten Sie schliesslich mit Ihrer Arbeit erreichen?

 

Freihart: Dem Schauspieler soll es zum Anliegen werden, seine Figur darzustellen. Und der Zuschauer soll begreifen, was das Stück will. Er soll zum Denken angeregt werden, und zwar so, dass er weiterdenken will und nicht aussteigt.

 

BT: Und wo kommt da die Kunst herein?

 

Freihart: Wenn alle zusammengebracht sind: das Stück, die Schauspieler, die Zuschauer. Dann wird der Zuschauer nicht mehr fragen nach dem Was und Wie, sondern gefangen sein von der Sache.

 

BT: Und was haben Sie dabei zu tun?

 

Freihart: Ich bin der Spielleiter, ich koordiniere. Ich schaue, dass ich Stück und Schauspieler zusammenbringen kann.

 

BT: Dann gibt es also keinen Freihartschen Inszenierungsstil?

 

Freihart: Nein. Denn sehen Sie, ich gehe von der Frage aus: Was ist unentbehrlich für das Theaterspielen? Sicher nicht der Regisseur, sondern der Schauspieler. Es gab ja auch eine Zeit, wo es den Architekten nicht brauchte. Die grossen Baumeister waren damals im Grunde Handwerker, allerdings solche mit einem grossen Wissen. Und für mich ist der Regisseur auch ein Handwerker, mit einem künstlerischen, aber auch technischen und organisatorischen Hintergrund.

 

BT: Obwohl es keinen Freihartschen Inszenierungsstil gibt, könnten Ihnen vielleicht doch gewisse Autoren näher liegen als andere?

 

Freihart: Mich faszinieren Stücke, die in einem Grenzbereich liegen, die weder einseitig komisch noch einseitig tragisch sind. Das ist auf meinen Hang zurückzuführen, Situationen zu suchen, wo man ausrutschen kann. Bei den zeitgenössischen Autoren ist das weniger der Fall, sie sind meist eindeutig. Am stärksten fühle ich mich daher zu Shakespeare hingezogen, daneben aber auch zu Molière und Goldoni, obwohl diese geregelter sind.

 

BT: Und was für ein Ensemble möchten Sie für Ihre Tätigkeit haben?

 

Freihart: Eines, das sich für die Arbeit begeistern kann. Das ist bei uns nicht immer leicht, denn unsere Leute müssen oft Aufgaben übernehmen, die ihnen nicht so liegen. Da möchte ich, dass sie sagen: Das ist zwar nicht das Meine, aber es dient der Sache. Ich möchte am liebsten ein homogenes Ensemble, und nicht nur ein paar sogenannte herausragende Kräfte. Denn bei diesen besteht die Gefahr, dass sie die Figuren auf ihre Person zurechtbiegen.

 

BT: Herr Freihart, Sie haben eine Schauspielerausbildung und sind selbst als Schauspieler aufgetreten, zuletzt in Peter von Guntens Film "Kleine frieren auch im Sommer". Warum sieht man Sie am Städtebundtheater nie auf der Bühne?

 

Freihart: Das liegt daran, dass ich der Typ bin, der sich um den kleinsten Dreck selber kümmert. Mir ist ein reibungsloser Ablauf wichtig, und es nützt mir nichts, hintendrein festzustellen, was man hätte machen sollen. Wenn ich also hier auf der Bühne stände, dann würde ich mich zu wenig auf die Rolle konzentrieren, sondern würde abgelenkt von der Aufmerksamkeit auf den Betrieb.

 

BT: Was macht denn überhaupt die Aufgabe eines Theaterdirektors aus?

 

Freihart: Theaterdirektor ist für mich ein Mensch, der ein Geschäft leitet. Es gilt, Dinge zu organisieren, wie anderswo auch. Deshalb muss man aufpassen, dass man vor lauter Organisieren das Theater nicht verpasst. Am eigenen Haus zu inszenieren, bedeutet eine Erschwernis. Denn als Regisseur habe ich dann zu viel Verständnis für den Theaterleiter, und dabei ist es besser, wenn der Regisseur dem Direktor widerspricht. Ich muss mich deshalb aufspalten und diese Gespaltenheit bis zu einem gewissen Grad durchhalten.

 

BT: Nach allem, was Sie sagen, scheint der Beruf eines Regisseurs beglückender zu sein als der des Direktors. Gibt es aber auch bei diesem eine positive Seit?

 

Freihart: Gewiss. Für mich besteht die Faszination darin, dass ich in dieser Stellung Theater in der ganzen Breitenwirkung mitmachen kann. Wenn ich ins Haus komme, führt mich mein erster Gang in die Schreinerei. Aus diesem Grund hätte mich der Beruf des Schauspielers wahrscheinlich nicht ausgefüllt. Trotzdem: der Gedanke, mal nicht mehr Direktor zu sein, ist für mich kein Problem. Aber mal nicht mehr Regisseur zu sein, würde mir grosse Schwierigkeiten machen.

 

BT: Nochmals: Worin besteht Ihre Aufgabe in Biel-Solothurn?

 

Freihart: Ich muss in erster Linie versuchen, eine Brücke, oder sagen wir eher: ein Brücklein zwischen Theater und Gesellschaft zu sein. Obwohl es immer schwieriger wird, einem Aussenstehenden das Phänomen Theater begreiflich zu machen. Man sagt zwar, in den meisten Menschen sei ein Spieltrieb, aber die wenigsten verstehen, wie man den Spieltrieb zu seinem Beruf machen kann.

 

BT: Und was sagen Sie als Direktor zur Verlängerung des Städtevertrags um fünf Jahre, die demnächst beschlossen werden dürfte?

 

Freihart: Ich bin froh, dass die Städte die Notwendigkeit eines eigenen Theaters erkennen und dass sie bereit sind, sich dafür einzusetzen. Als Theaterschaffender würde ich aber wünschen, dass die Politiker sich mal untereinander – und vielleicht auch mit dem Theater – Gedanken machen würden, was für ein Theater sie eigentlich wollen. Wir sind in den letzten Jahren in einer Aufbauphase gestoppt worden, und wir mussten uns darauf beschränken, fürs Überleben dieses Theaters zu arbeiten. Als Künstler kann man aber nicht nur aufs Überleben hin arbeiten, sondern wir brauchen einen klaren Entscheid.

 

BT: Und wie sollte der nach Ihrer Meinung ausfallen?

 

Freihart: Wir sollten nicht immer auf hundertprozentige Sicherheit hin spielen müssen, sondern man müsste uns mehr Raum geben für Erfolge und Misserfolge. Jetzt sind wir zu Durchschnittlichkeit verurteilt, ohne grosse Höhen, ohne grosse Tiefen.

 

BT: Wenn ich daran denke, was Sie eingangs von sich sagten, dann sehe ich eine gewisse Kluft zwischen Ihrer privaten Risikofreudigkeit und Ihrer auf Sicherheit ausgerichteten Theaterpolitik.

 

Freihart: Es wird mir tatsächlich mit der Zeit etwas schwer, immer auf Sicherheit ausgehen zu müssen...

 

BT: Wie wird es weitergehen? Werden Sie Direktor bleiben, wenn der Vertrag verlängert ist?

 

Freihart: Theoretisch nimmt jeder an, ich würde weitermachen. In Wirklichkeit hat mich aber noch niemand gefragt, und ich dränge mich nicht auf.

 

BT: Wenn Sie aber gefragt würden, was würden Sie dann antworten?

 

Freihart: Dann müsste man zusammensitzen und abstecken, was von diesem Theater erwartet wird. Davon würde meine Antwort abhängen.

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