Warten auf Godot. Samuel Beckett.

Schauspiel.

Günther Vetter. Theater 58, Gastspiel im Gaskessel Bern.

Der Bund, 11. Dezember 1978.

 

 

Anders als Beckett, und doch...

 

Wer Becketts eigene Inszenierung im Schillertheater Berlin gesehen hat, wird nicht vergessen, mit welch kalter Mechanik dort "Warten auf Godot" abschnurrte. Alle Spuren von Herzlichkeit und Gemüt waren getilgt, die Gänge abgezirkelt, die Bewegungen zum Ritual erstarrt. Man verstand, dass sich das Warten in die Unendlichkeit fortsetzen mochte, war doch ein Tag wie der andere, ohne Neues zu bringen, und das hiesse doch Tat, Veränderung, Sinn.

 

Anders das Theater 58, das im Gaskessel gastierte. Gegenüber Becketts Szenenanweisung hatte sich aus äusseren Gründen (die Spielfläche des Gaskessels ist eine Arenabühne) ein Geringes geändert. Was man sah, war nicht mehr "Landstrasse. Ein Baum. Abend." Sondern man blickte auf eine Art Zirkusarena. Da quälten sich nicht mehr zwei alte Landstreicher, so an die sechzig, mit leerer Zeit ab, sondern da gaben zwei Leute mit Neigung und Talent zum Clownesken eine Vorstellung, während sie darauf warteten, dass etwas geschehen werde. Ihre Situation war also ganz die des Publikums: Man versucht, sich zu unterhalten, damit die Zeit vergeht.

 

So kam es zwischen den beiden in der Arena und den Zuschauern mit der Zeit zu einem kameradschaftlichen Verhältnis, denn man sass im gleichen Boot, oder genauer: im selben Theater. Notgedrungen lernte man sie kennen und ihre Unterschiedlichkeit schätzen: Estragon von Peter Nüesch, ganz dem Moment anheimgegeben und den augenblicklichen Gefühlen und Impulsen folgend, rührend in seiner kindlichen Selbstbezogenheit und seinem Eigensinn. Daneben der stillere und zerbrechlichere Wladimir (Gerd Christof), eine Art Grübler, der auf hilflose Art schwere Fragen stellt.

 

Auf diese Weise kam beinahe der Eindruck auf, das Stück sei eigens für die Aufführung im Gaskessel geschrieben worden. Von effektvoller, aber im Grunde doch kitschiger Tiefgründelei keine Spur. Denn Regisseur Günther Vetter hatte das Stück beim Wort genommen, als "Zirkus". Die Auftritte wurden zu Nummern, und so kam beides in angemessener Weise zum Zug, das Artistisch-Komische wie das Metaphysisch-Abgründige. Dieses stellte von hinten den lustigen Vordergrund in Frage, indem es, ganz im Sinne des Stücks, als Rest erschien, der nie aufgeht.

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