Teatro Veneto Oggi.

Historische Collage.                  

Gastspiel im Galerietheater "Die Rampe", Bern.

Der Bund, 18. Juni 1979.

 

 

Internationales Festival Kleiner Bühnen:

Vom Reichtum des Theaters

 

"Harlekin bedroht Colombine" heisst ein berühmtes Bild in der Wiener Stallburg-Galerie. Zur Zeit, da Degas es malte, war die Commedia dell'arte bereits tot. Die Verrenkungen des Harlekins, die die Pastellzeichnung vorführt, sind bloss noch Abbilder längst untergegangener Muster. Und so, als fremde, unerreichbare Kunstwirklichkeit, verstand auch ich die Commedia – bis sie nach der Pause wieder erstand, frisch, lebendig und drollig wie je.

 

Wieder quäkte Harlekin mit hoher Stimme, wieder war Pantalone der um die Liebe betrogene Geizhals – wie zehn Generationen zuvor, als die Urahnen der Darsteller des "Teatro Veneto Oggi" auf den Brettern standen und mit ihren Spässen das Volk belustigten. Jetzt aber, am Festival Kleiner Bühnen, öffneten sie einen Ausweg aus unserer im Realismus festgefahrenen Theatersituation.

 

Oder muss man den Plural verwenden und sagen: Es zeigten sich Auswege? Denn die Bühne aus Vicenza beschränkte sich nicht auf die Wiedergabe einer Szene aus der Commedia dell'arte, sondern das "Teatro Veneto Oggi" legte insgesamt fünf Schnitte durch die zweitausendjährige Geschichte des italienischen Theaters.

 

Es spielte die archaische Exposition der "Goldtopfkomödie" des Titus Maccius Plautus, die Molière 1800 Jahre später als Vorbild zum "Geizigen" diente. Und dabei trat zutage, dass das erstarrte Grinsen der Maske den starren Charakteren der römischen Komödie entsprach, weil das Interesse damals noch auf die Situationen und nicht auf das Psychologische gerichtet war.

 

Zum geistlichen Spiel des Mittelalters, das darauf folgte, hat die Truppe indessen kein echtes Verhältnis gefunden. Die wortreiche Marienklage wurde deklamiert wie eine Puccini-Oper, und dazu lieferten Farbscheinwerfer das Lichterspiel einer Discobar. Da fiel "La Guerra" von Ruzzante schon viel überzeugender aus. Bei aller Volkstümlichkeit war diese Szene aus dem 16. Jahrhundert schön stilisiert und durchkomponiert.

 

Die Verschiedenheit der Stile und Theaterformen, welche die historische Collage vorführte, gab den Schauspielern reiche Gelegenheit zur Verwandlung. Doch beeindruckender als der Kostümwechsel schien mir die Freude an Sprache und Gestus, die sich durch die Darstellung der Veneter hindurchzog. Und am nachhaltigsten berührte mich, wie schön nach den vier uralten Szenen der realistische Kammerspielton von Goldonis "Mirandolina" wieder wirkte. Offensichtlich: Das Theater hat seine Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft.

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