Klau mir eine kleine Milliarde. Fernando Arrabal.

Komödie.

Jaroslav Gillar. Galerietheater "Die Rampe", Bern.

Der Bund, 12. November 1979.

 

 

Wo blieb das ironische Blinzeln?

 

Zuweilen konnte man in Lutz Moiks Augen ein kleines, diskretes Zwinkern beobachten, das offensichtlich ein paar Eingeweihten im Publikum galt. "Na", schien er zu fragen, "hab' ich das nicht gut gemacht?" – So fragte er, wenn er eine Pointe ganz trocken und ungerührt plaziert hatte. Und als er die Situation rettete, wo der Telefonhörer auseinanderfiel, indem er sagte: "So etwas passiert nur an Premieren", da blinzelte er nachher auch. "Na", schien Moik zu fragen, "was haltet Ihr davon?"

 

So hätte ich mir die ganze Inszenierung gewünscht: mit einem ironischen Blinzeln. Wo man sieht, dass die Schauspieler Distanz haben zu dem, was sie tun; wo das Wichtige bloss beiläufig geschieht. Auf diese Weise hätte die Inszenierung nämlich das Publikum zu Momenten führen können, wo es des Widersinns innewird, der sich hinter der nonchalanten Maske verbirgt.

 

Ein Arzt, so lautet die Story, steht vor der Entdeckung, wie sich alle Krankheiten der Welt heilen liessen. Um die Formel herauszukriegen, braucht er lediglich noch eine "kleine Milliarde" für die Anschaffung eines Computers. Sein Freund soll das Geld beschaffen, egal mit welchen Mitteln. Denn was er auch tut, geschieht ja zum Wohl der Menschheit. Und dafür ist es unumgänglich, ein paar Grundsätze des Rechts und des Zusammenlebens zu opfern. Vor Betrug, Geiselnahme und Raubüberfall darf man da nicht zurückschrecken, wenn man will, dass es der Menschheit besser gehen soll.

 

Solch ein Zynismus der Verhältnisse liegt dem Stück zugrunde. Und die Inszenierung hätte zur Einsicht führen können, wie bereitwillig jeder von uns diesen Widersinn akzeptiert, wenn er dazu verführt wird, ein Auge zuzudrücken. Und wenn sie das Einverständnis hergestellt hätte, dann hätte sie dem Zuschauer die Augen wieder öffnen müssen, um ihn zur Einsicht zu führen über sich selbst und sein Verhalten.

 

Ob verhaltene Ironie und kalte Taschenspielerperfektion der richtige Weg wären? Vielleicht. Doch Jaroslav Gillars Inszenierung hat ihn nicht beschritten. Hier ging es in erster Linie ums Gaudi; es gab mancherlei Gags und auch ein paar unnötige Spielzüge. Doch nie brachte die Aufführung die Kraft auf, sich für einen Moment gegen das Publikum zu stellen und das Einverständnis zu brechen. So gab es auch keinen Moment, wo bittere Einsicht unvermeidlich wurde.

 

Beklatscht wurde also lediglich die theatralische Überhöhung. Und in der Tat gab es Szenen, die in plausibler Beziehung zur Handlung standen und sich der Perfektion annäherten. Etwa da, wo Lutz Moik und Friedhelm Knoll die Judogriffe üben. Da war nicht bloss vollkommene Körperbeherrschung zu bestaunen, sondern die Szene erhielt einen starken Reiz dadurch, dass nebenbei besprochen wurde, wie man die benötigte Milliarde beschaffen könnte. Da war auch beeindruckend, wie natürlich sich die beiden Darsteller in dieser künstlichen Situation bewegten.

 

Anderes wirkte weit weniger motiviert. Etwa der Rundlauf, an dem sich die beiden Nonnen drehten, oder die blauen Ballone, mit denen sich am Schluss die Bühne füllte. Da war nicht immer sicher, ob Gillar wirklich etwas aus dem Stück machen wollte. Die Frage zumindest drängte sich auf, ob es ihm nicht eher darum ging, etwas aus seiner Inszenierung zu machen.

 

Doch wie auch immer man sich zum Konzept stellen mag, die Schauspieler zu einem exaltierten Stil anzuhalten – unerlässlich ist, dass überzeugend gespielt wird. Es müsste, so scheint mir, eine Perfektion dazukommen, die sogar die Übertreibung echt macht. Das aber kann ich von den übrigen Darstellern nicht melden. Sie haben sich zwar redlich bemüht, aber es blieb bei der Absicht. Und die verstimmt bekanntlich. Weil sie vor Augen führt, wie weit der Weg zum Ziel noch wäre.

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