Ein Sommernachtstraum. William Shakespeare.

Komödie.

Peter-Andreas Bojack, Volker Bierwirth. Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 14. September 1983.

 

 

Bojack bestand Feuerprobe als Regisseur

 

Es scheint, als hätten sich die Mitglieder des Städtebundtheaters unter der Leitung von Peter-Andreas Bojack verwandelt. Man vernahm Töne, die man vordem nicht für möglich gehalten hätte. Und man sah Schauspieler, die über sich hinausgewachsen waren. Die erste Inszenierung des neuen Direktors verdient einen breiten Erfolg.

 

Nach der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, an die sich das Städtebundtheater hält, spielt sich der "Sommernachtstraum" an folgenden Schauplätzen ab: in einem "Saal im Palaste des Theseus"; in verschiedenen Teilen eines "Waldes bei Athen"; in einer "Stube in Squenzens Hause" und in einem "Zimmer im Palaste des Theseus". Zimmer, Saal, Stube – das sind geschlossene Räume. Ausgeschlossen von ihnen ist die Witterung, das pflanzliche und tierische Leben. Das bedeutet: der geschlossene Raum schliesst die unkontrollierbaren Naturkräfte aus.

 

Im Zimmer bestimmt der Mensch, was geht. Er schafft nach seiner Vorstellung die Möbel herbei, und er achtet in der Regel darauf, dass die Einrichtung vernünftig, geordnet und zweckmässig ausfällt. Diesem geordneten Bezirk menschlicher Vernunft steht – im Stück – ein offener Raum gegenüber, der "Wald bei Athen". Hier verlieren sich die Menschen, weil die Wege fehlen und weil es Nacht ist. In der Nacht aber ist der Mensch blind, wenn er keine Laterne bei sich trägt.

 

Man sieht: bei Shakespeare beherrscht der Mensch nur einen winzigen Bereich. Im Raum einer Stube, im Lichtkreis einer Lampe ist er autonom. Ausserhalb dieses Bezirks aber ist er dem Walten der Naturkräfte ausgeliefert. Sie machen mit ihm, was sie wollen.

 

Diese Gegebenheiten drückt der "Sommernachtstraum" aus. Er führt uns eine Reihe von Liebespaaren vor, und bei allen gleicht die Liebe einem schicksalshaften Verhängnis. Das Verlangen macht die Liebenden toll und regiert ihren Willen. Sie unternehmen die unvernünftigsten Anstrengungen, um an das Objekt ihrer Liebe heranzukommen: Theseus, der Herzog von Athen, entfesselt einen Krieg, um die Geliebte zu erobern. Oberon, der König der Feen, bekämpft seine Gattin wegen eines schönen Lustknaben. Hermia, die brave Athener Tochter, entläuft dem elterlichen Haus. Der Jüngling Lysander opfert für die Geliebte Auskommen und Vaterland. Titania, die Elfenkönigin, buhlt um einen Esel.

 

Aus Liebe also verlassen die Geschöpfe den Weg der Vernunft. Die Herrscher, die der "Sommernachtstraum" vorführt, werden von den Trieben beherrscht. Damit zeigt sich: Zu den Naturmächten, die stärker sind als der Mensch, gehört auch die Liebe. Nur – diese Naturmacht lässt sich nicht ausschliessen wie die Witterung. Sie befindet sich in uns drin, als Regung der Seele. Selbst in unserem Innern beherrschen wir mithin nur einen kleinen Bereich.

 

Die Schauplätze Wald, Schlossaal, Bürgerstube, die den Gehalt des "Sommernachtstraums" symbolisieren, gibt das Städtebundtheater nicht wieder. Die Bühne ist in einem einheitlichen Dekor gehalten. Ein einfaches Podest nimmt die hintere Hälfte der Szene ein, und eine kleine Rampe führt hinunter in den Vordergrund. Auf den Seiten hängen ein paar Stoffbahnen herunter. Das ist alles, was es zu sehen gibt. In dieser neutralen Dekoration weisen auch keine Requisiten auf die verschiedenen Schauplätze hin. Es fehlen Tisch und Stuhl, die zur Handwerkerstube gehören. Es gibt keine Säulen und Vorhänge, um den Palast anzudeuten. Auf Laub und Zweige, die den Wald evozieren, ist verzichtet worden. Das Bühnenbild (Volker Bierwirth) ist also geprägt vom Willen, auf alles Äusserliche zu verzichten.

 

Und trotzdem geht der Gegensatz zwischen der Welt der Vernunft und der Welt der elementaren Kräfte nicht verloren. Nur drückt er sich nicht mehr in den Gegenständen aus, sondern im Licht. Es gibt in dieser Inszenierung zwei Arten von Beleuchtung. Die eine ist weiss, blendend, statisch. Die andere wirkt unbestimmt, flackernd, diffus. Hier kann man nicht mehr entscheiden, ob das Licht rosa, blau oder grün ist – die Farben spielen durcheinander und verfliessen. Damit ist, mit einem Minimum an Aufwand, das Wesentliche ausgedrückt. Den "Stuben" entspricht das unbewegliche, dem "Wald" das geheimnisvoll fluktuierende Licht.

 

Wohldurchdachte Sparsamkeit ist das Kennzeichen der ganzen Inszenierung. Sie trägt damit der Tatsache Rechnung, dass ein abstraktes Bühnenbild eine besonders sorgfältige Darstellerführung verlangt. Denn im leeren Raum gibt es nichts mehr, was von den Schauspielern ablenken könnte.

 

Solch strengen Bedingungen hat Peter-Andreas Bojack, der Regisseur, die Schauspieler ausgesetzt. Aber das Wagnis hat sich gelohnt. Mit Hingabe und Sorgfalt trägt das Ensemble – verstärkt durch Gäste – einen klar durchgestalteten "Sommernachtstraum" vor. Alles Wesentliche geschieht hier im Wort. Die mimischen Elemente treten zurück, der Text wird zum Mittelpunkt der Aufführung.

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