Maximiliane Hass: Ausstrahlungsstark und sprecherisch einwandfrei. © Gabriela Neeb.

 
 

 

Die Nashörner. Eugène Ionesco.

Schauspiel.

Anna Marboe, Helene Payrhuber, Sophia Profanter, Felicia Nilsson, Vincent Sauer. Volkstheater München.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 11. Dezember 2025.

 

> Die Aufführung ist so diabolisch wie das Stück. Sie holt die Leute im Saal dort ab, wo sie stehen, und verführt sie zum blinden Mitmachen. Im konkreten Fall lautet die Zauberformel AIDA: "attention, interest, desire, action". Bertolt Brecht fasste das Resultat in die Verse: "Hinter der Trommel her / Trotten die Kälber / Das Fell für die Trommel / Liefern sie selber". Bei den "Nashörnern" handelt es sich freilich nicht um Kälber, sondern um Deutsche. Aber das Phänomen gibt zu denken. <

 

Eugène Ionescos Schauspielklassiker aus dem Jahr 1957 führt in eine stille französische Kleinstadt. Da gibt es die Brasserie mit der Terrasse, auf der sich die Bürger zu Suze und Pernod treffen. Doch im Münchner Volkstheater ist die Pagnol-Folklore gestrichen. Bühne und Kostüme von Helene Payrhuber und Sophia Profanter bringen keine Gemütswerte, sondern Abkürzungen. Die Bistrot-Einrichtung ist reduziert auf zwei Aluklappstühle. Das Büro besteht aus einer viereckigen Abschrankung, ein paar Blättern und einem grotesk wirkenden Lochstanzer. Den Kirchplatz bildet eine simple Hausfassade, flach wie Karton und rudimentär wie eine Kinderzeichnung. Die Musik von Vincent Sauer zitiert nicht den Klang von Charles Trenet, sondern den deutschen Privatradio-Sound.

 

Auf der leeren Bühne ertönt jetzt:

 

Das Leben als Nashorn. Kanon. Text von Anna. Musik von Vincent.

 

Leben als Nashorn

Das Leben macht Spass

Nashörner

Nashörner

Nashorn

Oh ein Nashorn

Das macht Spass

 

Was anfangs albern wirkt, entwickelt unmerklich Sog. Vor drei Wochen tauchte an einer Wagner-Aufführung in der Salzburger Felsenreitschule das erste glitzernde Damenhütchen auf. Heute zieht in jedem Lokal ein Glitzerkleid die Blicke auf sich. Was Wunder, dass im Münchner Volkstheater, wo alle Figuren (bis auf eine) Nashörner geworden sind und ein Heer von Statisten die Chiffre für die Seligkeit formt, im Schwarm zu schwimmen, das Publikum am Ende der Vorstellung rhythmisch in die Hände klatscht und das Nashornlied singt? Es gibt nichts Schöneres, als dazuzugehören und wie die andern zu sein. Die immerwährende Aktualität der Klassiker.

 

Vier Kriterien belegen die Qualität der Produktion:

 

1. Die Ausstrahlungskraft der beiden Hauptfiguren Behringer (Béringer) und Hans (Jean). Maximiliane Hass und Nils Karsten sind sprecherisch einwandfrei.

 

2. Die Eigenständigkeit der Regie. Anna Marboe verwendet zwar wie alle das Vokabular des aktuellen deutschen Sprechtheaters mit gleichgeschaltetem Ensemble, Genderumkehr und choreographischer Bewegungsführung (geregelt von Felicia Nilsson), aber sie stellt die Elemente in den Dienst eines Ziels: "Wetten, dass ich euch zum Mitmachen verführen kann?"

 

3. Der Wechsel der Töne. Er realisiert sich in der Abfolge von Gegensätzen wie hoch und tief, fern und nah, bewegt und statisch, vereinzelt und eingebunden. Wenn der Wechsel eine Struktur schafft und eine Folge bildet, ist Exzellenz am Werk.

 

4. Der Umgang mit dem Raum. Begabte Theaterleute haben ein Gespür für ihre Bühne. Sie bespielen sie in allen Dimensionen, und am Ende zeigt sich, dass die Produktion nur in dieses bestimmte Haus passt. In der Kleiderbranche nennt man das "Massanfertigung".

 

q.e.d.

Der Umgang ... 

... mit dem Raum ... 

... ist eindrücklich.