Caché. Michael Haneke.
Filmadapation von Felicitas Bruckner und Tobias Schuster.
Felicitas Bruckner, Viva Schudt, Florian Seufert. Volkstheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2025.
> Im Wiener Schauspiel wird derzeit die Buchbranche geboostert. Wie schon in "Egal" und im "Fall McNeal" am Burgtheater arbeitet am Volkstheater die weibliche Hauptrolle ebenfalls im Verlagswesen. Und wenn die Wohnzimmer heute wandgrosse Bildschirme aufweisen, so zeigen die Theaterhäuser, dass sie Video noch mit ganz anderer Kelle anrichten können: In "Caché" gleich mit zwei, drei, vier Leinwänden von beeindruckender Grösse und Brillanz. Dazu immenses Dekor. Dazu Hochfahren einer Wohnküche. Dazu Drehbühne. Wäre der Handlungskern nicht so ernst, müsste man sagen: "Tant de bruit pour une omelette!" (So viel Lärm für ein Omelett!) <
Chantal Desol ist Professorin der Philosophie und Mitglied der französischen Académie des sciences morales et politiques. Sie vertritt die Auffassung, dass die Gegenwart von den Toten mitgestaltet wird: "Die Situation, die wir heute haben, verdanken wir der Generation Pompidou. Sie hat die Immigration aus Afrika begünstigt, um tiefe Arbeitslöhne zu gewinnen. Dadurch wurde das heutige Frankreich geformt."
Diese historische Gegebenheit prägt nun auch den Film "Caché" von Michael Haneke aus dem Jahr 2005. Fürs Wiener Volkstheater haben ihn Regisseurin Felicitas Bruckner und Dramaturg Tobias Schuster adaptiert. Am Fall eines Fernsehmoderators arbeitet die Handlung eine fünfzigjährige schuldhafte Verstrickung heraus: "Der HERR lässt niemand ungestraft, sondern sucht heim die Missetat der Väter über die Kinder ins dritte und vierte Glied." (4. Mose 14.18)
Der Ruhm eines Medienmanns auf dem Gipfel der Karriere erreicht die Hütte eines malträtierten, deklassierten algerischen Einwanderers der drittern Generation, und dieser sucht den prominenten Franzosen heim: "Ich wollte wissen, wie man sich fühlt, wenn man einen Menschen auf dem Gewissen hat."
Mit den vier grossartigen Darstellern Bernardo Arrias Porras, Moritz Grossmann, Sebastian Rudolph und Johanna Wokalek zeigt die Inszenierung, wie eine mittelständische Familie mit Vater, Mutter und Sohn unter der Einwirkung des Verdrängten zerfällt. Virtuoser Umgang mit Video (Florian Seufert) und Bühne (Viva Schudt) schafft ein Kaleidoskop, in dem Psychisches und Politisches, Aktuelles und Geschichtliches, Inneres und Äusseres anfangs rätselhaft, dann unheimlich und schliesslich grauenvoll am Zuschauerauge vorüberziehen. Content Note des Volkstheaters: "In der Produktion kommt es zur Darstellung suizidaler Handlungen."
Gerade die Meisterschaft, mit der die Bühne ihre Trümpfe ausspielt, weckt aber mit der Zeit ein Unbehagen: Passiert da nicht zu viel des Guten? Ist Virtuosität die angemessene Form für die Darstellung von Schuld und Verstrickung? Sollte das künstlerische Talent nicht den Weg des "Less is more" beschreiten? Die Frage stellen heisst sie beantworten.
Unter der Einwirkung des Verdrängten ...
... geht es mit einer Familie ...
... langsam und unvermeidlich bachab.
