Egal. Marius von Mayenburg.
Schauspiel.
Thomas Jonigk, Lisa Dässler. Burgtheater Wien.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2025.
> Marius von Mayenburg schreibt Stücke für heute mit Themen von heute mit Menschen von heute in einer Sprache von heute. Auf straff gespanntem, hohem Seil bewegt sich die Handlung der schlimmstmöglichen Wendung entgegen. Dabei ist faszinierend, wie es dem Dramatiker gelingt, aus einer alltäglichen Situation, in der sich das Publikum wiederfindet, nach wenigen Minuten hinauszuführen in das Überraschende, Spannende, Aufdeckende. "Egal" aus dem Jahr 2023 nimmt indessen diesen Verlauf nicht. Es bildet lediglich das ewige Einerlei ab. Damit ist die Bühne gleich enttäuschend wie das Leben. <
Vituos führt Marius von Mayenburg in seinen Stücken von einem Umschlagspunkt zum nächsten. Derselben Struktur unterliegt auch das Gezänk alter Paare. Nur führen dort die Wendungen nirgends hin. Im Kippklapp der eingespielten Argumente erfahren die Partner nur die Ausweglosigkeit ihrer Lage. "Rühr hin den Kot, rühr her den Kot, bleibt's doch immer Kot", erklärte, Martin Buber zufolge, der Rabbi von Gera vor zweihundert Jahren. Bei Marius von Mayenburg führt das Schauspiel zum Fazit: "Scheissegal. – Egal."
Das Stück aus dem Jahr 2023 gibt die Konstellation eines heutigen Paares wieder. Der eine Teil macht als Arbeitssklave Karriere und erwirbt die Hauptsache des Einkommens. Der andere Teil versieht Haushalt und Kinder und steuert durch Heimarbeit das Zubrot bei. Doch mit der Zeit erwacht die Frage: "Wer von uns beiden leistet mehr?" Ab jetzt ist die Äquivalenzbalance gestört, und das Paar hat ein Problem.
Die Handlung von "Egal" setzt beim Nachhausekommen ein. In diesem Moment stossen die Vertreter der beiden Welten, der geschäftlichen und der häuslichen, aufeinander. Dabei verläuft ihr Dialog auf den Bahnen, die Eric Berne in den "Spielen der Erwachsenen" beschrieben hat. Sie wecken bei den Individuen das Gefühl, allein zu sein und nicht verstanden zu werden.
Als "Tema con variazioni" für zwei Instrumente handelt Marius von Mayenburg die Stagnation des Paars ab, wobei die Notenblätter alle Viertelstunden ausgetauscht werden. So tragen die beiden Darsteller abwechselnd die Melodie des andern vor. Dabei fallen sie sich oft, vor allem am Anfang, ins Wort. Der Umstand zeigt, dass sie einander nicht zuhören. Ob das auf die Inszenierung zurückgeht oder auf die schauspielerische Verfassung am besuchten Abend, ist nicht zu entscheiden. Immerhin verwirklicht Caroline Peters ihren Part einwandfrei, wogegen Michael Wächter meistens zu leise und zu schnell spricht. Offenbar ist die Abendregie betriebstaub geworden.
Bei der Virtuositätsübung des "Tema con variazioni" erfährt das Publikum die abgewandelte Wiederkehr des Gleichen. Sie schafft, wie Walther Killy gezeigt hat, im Kunstwerk Struktur und bringt das Verrinnen der Zeit zur Anschauung. Berühmtes Beispiel: "Effi komm!" Am Anfang des Romans von Theodor Fontane wird der Satz einem jungen, wilden Mädchen zugerufen, am Ende vernimmt ihn eine unglückliche Frau.
Die abgewandelte Wiederkehr des Gleichen zeigen auch Regisseur Thomas Jonigk und Bühnenbildnerin Lisa Dässler in Stil und Dekor von "Egal". Vor einem Jahr haben sie bei "Ellen Babic" schon die gleichen Elemente eingesetzt. Dort bildete das Drama eine Verlauf. Jetzt eine Stagnation. "Le vent se lève. Il faut tenter de vivre!" liegt sechzig Jahre zurück. Der Elan ist weg.
Also führt "Egal" ein ausgelaugtes Ehepaar vor. Viele im Saal erkennen sich wieder und lachen bei jedem Treffer. Ein paar wenige aber verlassen die Vorstellung enttäuscht wie jener von Goethe zitierte Bibliomane, der den Abend in Gesellschaft langweiliger Menschen verbracht hat und beim Nachhausegehen sagt: "Wären's Bücher gewesen, ich hätte sie nicht gelesen."
Spiele der Erwachsenen.
Aber der Elan ist weg.
