Der letzte Henker. © Tommy Hetzel.

 
 

 

Bumm Tschak oder Der letzte Henker. Ein Richtspiel. Ferdinand Schmalz.

Schauspiel.

Stefan Bachmann, Olaf Altmann, Adriana Braga Peretzki, Sabina Perry, Sven Kaiser. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2025.

 

> Der Theaterschriftsteller Ferdinand Schmalz hat für Inhalt und Sprache einen eigenen Stil entwickelt. Seine Texte bewegen sich zwischen Parodie und Poesie. Den Gegenstandsbereich bildet ein gescheit zusammengestelltes Kondensat. Es umfasst die vitalen Elemente der Wirklichkeit und bringt sie in einem Gemisch von Vulgarität und Banalität zur Darstellung. Am Burgtheater rauscht die unappetitliche Gemengelage der Gegenwart mit opernhafter Sinnlichkeit auf. Und Stefan Bachmanns Inszenierung macht daraus eine Wonne. <

 

Adriana Braga Peretzkis Kostüme sind der Künstlichkeit der Wesen angemessen. In "Bumm Tachak" spielen alle eine Rolle: Der Clubbesitzer, der Clubgast, der Türsteher ... und auf der anderen Seite die Kanzlerin, die sich an die Spitze des Staates geputscht hat, und ihre Schergen. Sogar das Opfer, an dem die wiedereingeführte Todesstrafe zum ersten Mal vollzogen werden soll, ist kein blosser Mensch, sondern ein Jahrmarktszauberer mit spitzem, gelbem Hut. – Ambivalent auch die Guillotine: kein Original, sondern eine Replika. Bisher wurden durch sie am Höhepunkt der Clubabende Melonen gespalten. Jetzt sollen es Köpfe sein. So kippt der Spass in Ernst, die Komödie in Wirklichkeit.

 

Auf derselben Kippe befindet sich auch die Epoche der Zuschauer. Noch erscheinen die Parolen der Rechtsextremen als Sprüche: Aufräumen, saubermachen, durchgreifen! Aber auf der anderen Seite des Teichs ist schon zu erleben, was das heisst.

 

"Süddeutsche Zeitung", 17. November:

 

Die Angst vor den Maskierten.

 

Die Beamten fahren in unauffälligen Autos vor und verbergen ihre Gesichter, sie nennen keine Namen und zeigen keine Ausweise, aber gerne ihre Waffen.

 

Der rechte Sender News Nation zeigte, wie sich gefesselte Männer aufstellen mussten, ICE, FBI und Border Patrol holten auch Frauen und Kinder aus ihren Betten. Die Strassen blockierten sie unter anderem mit Panzerfahrzeugen. Das Department of Homeland Security schnitt später martialische Szenen zusammen und stellte das Video auf X. "An alle kriminellen illegalen Einwanderer: Die Dunkelheit ist nicht mehr euer Verbündeter", war darunter zu lesen. "Wir werden euch finden."

 

Im "Richtspiel" am Burgtheater agieren die Figuren auf der metallisch kalten, leeren Bühne von Olaf Altmann mit faszinierend rhythmischer Expressivität. Unterstützt von Sven Kaisers Komposition werden Sprache und Bewegung vom selben musikalischen Duktus durchzogen, und dank dem Beitrag von Sabina Perry zu Körperarbeit und Choreografie verschmelzen Stück und Aufführung in Stefan Bachmanns Inszenierung miteinander.

 

Besonders wertvoll wird das "Richtspiel" durch seinen Verlauf. Ferdinand Schmalz biegt die Handlungskurve, die lange Zeit nur abwärtsführte, am Schluss nach oben. Wer spricht von Unvermeidlichkeit? Es braucht keinen reitenden Boten des Königs! Es braucht kein Wunder! Es genügt, die Verhexung abzuschütteln:

 

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschliessung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

(Immanuel Kant.)

 

Vor diesem Hintergrund ist das Ende des "letzten Henkers" eine Verheissung: Weg mit der Unmenschlichkeit!

 

Wir wissen, dass die Triebe rücksichtslos sind und keine Moral kennen. Wenn jeder versuchen würde, all seine Triebwünsche zu befriedigen, würde das zu Anarchie führen. Die Befriedigung von Triebwünschen ist oft mit Leiden für andere verbunden, und die freie Entfaltung der Triebe bedeutet Vergnügen für die Mächtigen und Elend für die Schwachen. Viele politische Situationen im Laufe der Geschichte haben das gezeigt.

 

Die Strebungen des Gewissens dagegen bringen, wenn sie normal sind, anderen Menschen in der Regel Glück. Sie tragen dazu bei, dass die Menschen grosszügig und rücksichtsvoll sind. Unsere Zivilisation basiert weitgehend auf dem Triumph des Gewissens über die Triebe, und damit die Zivilisation fortbestehen kann, muss dieser Triumph weitergehen.

(Eric Berne.)

 

In seinem Nachtstück hat Ferdinand Schmalz die Aufgabe erfüllt, die Jean Paul dem Dichter vorschrieb:

 

Hinter ihnen über den Bergen, wo sie sich gefunden hatten, wölbte sich ein Regenbogen hoch in den Himmel. Und so kamen sie an, eine Seele in die andere gesunken, den Nachtschimmer in den Tages-Glanz ziehend, und ihre Blicke waren traumtrunken.

 

Schicksal, warum lässest du so wenige deiner Menschen eine solche Nacht, ach nur eine Stunde daraus erleben? Sie würden sie nie vergessen, sie würden mit ihr als mit dem Frühlings-Weiss und Rot die Wüsten des Lebens färben – sie würden zwar weinen und schmachten, aber nicht nach Zukunft, sondern nach Vergangenheit – und sie würden, wenn sie stürben, auch sagen: auch ich war in Arkadien! –

 

Warum muss bloss die Dichtkunst das zeigen, was du versagst, und die armen blütenlosen Menschen erinnern sich nur seliger Träume, nicht seliger Vergangenheiten? Ach Schicksal, dichte doch selber öfter!

 

Ferdinand Schmalz hat das Seine geleistet.

Alle stehen ...

... auf der Kippe.