Das grosse Interview für das Magazin der "New York Times". © Tommy Hetzel.

 
 

 

Der Fall McNeal. Ayad Akhtar.

Schauspiel.

Jan Bosse, Stéphane Laimé, Kathrin Plath, Andreas Deinert. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 20. November 2025.

 

> Das Erstaunlichste an dieser Aufführung befindet sich auf der Besetzungsliste. Sie verrät, dass die Rollen des Schriftstellersohns und der Agentursekretärin vom selben Schauspieler verkörpert werden. Einmal trägt Felix Kammerer dunkles gekraustes, dann blondes langes Haar. Mal ist er Mann, mal Frau. Die Kostüme von Kathrin Plath verwandeln ihn derart überzeugend, dass aus seiner Leistung zutagetritt: Nichts von dem, was du siehst, ist echt! So bringt die Aufführung durch doppeldeutiges Spiel den "Fall McNeal" auf den Punkt. <

 

Die Problematik des Zustandekommens von dem, was man herkömmlicherweise Kunst nannte, hat derzeit Konjunktur. Um 05:35 h veröffentlichte Jürg Tschirren, Digitalredaktor von SRF News:

 

OpenAIs neueste Version ihrer Video-KI produziert Inhalte, die kaum noch von echten Inhalten zu unterscheiden sind.

 

... Die Sperrung des Namens des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski liess sich dadurch umgehen, dass statt nach Selenski nach "Ukraines Kriegschef" gefragt wurde. Darauf erzeugte die KI einen Clip mit einer Figur in Uniform, die Selenski sehr ähnelte. Auch inszenierte Überwachungsvideos oder gefälschte Polizeiaufnahmen lassen sich erzeugen, wenn Umwege in der Formulierung genutzt werden. Ein weiteres Konfliktfeld ist das Urheberrecht. Recherchen von US-Medien zeigen, dass Sora 2 Bilder, Stile und Marken bekannter Produktionen erstaunlich präzise nachahmen kann: Szenen aus Netflix-Serien oder Games wie Minecraft.

 

Am Burgtheater wird die Problematik des Zustandekommens von dem, was man herkömmlicherweise Kunst nannte, neben dem "Fall McNeal" auch in der "Wurzel aus Sein" von Wajdi Mouawad thematisiert, und in der Josefstadt durch "Das Vermächtnis" von Matthew Lopez. In Paris läuft das Thema am Théâtre National de la Colline in "Racine carrée du verbe être", an der Comédie-Française in "Rien ne s'oppose à la nuit" und am Théâtre des Bouffes du Nord in "Les couleurs de l'air". In der Schweiz und Amerika in "Das kurze Leben der Fakten" von Jeremy Kareken und "Das Original" von Stephen Sachs.

 

Bei all diesen Stücken geht es um die Frage von Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Erfindung, Eigenleistung und Übernahme, Original und Plagiat, und das wohlverstanden auf der metanarrativen Ebene. (Ich gebrauche diese Ausdrucksweise, um zu zeigen, dass ich weiss, wie sich ein Mitglied der Scientific Community darzustellen hat, wenn es den Anspruch erhebt, ernstgenommen zu werden.) Einfacher gesagt: Die Stücke behandeln das Verhältnis von Urheber und Werk, indem sie während der Aufführung ein Manuskript entstehen lassen.

 

Die Thematik ist zwar abstrakt, aber, dank KI, aktuell. Und die Schöpfer bekannter künstlerischer Werke haben, im Theater wie im Leben, einen Nimbus, der ihnen breites Interesse sichert, vor allem wenn es sich, wie im "Fall McNeal", um einen Literaturnobelpreisträger handelt. Zeigt das Theater dazu noch dessen Dankesrede an der Stockholmer Akademie und das grosse Interview für das Magazin der "New York Times", dann entrollt sich für den kleinen, namenlosen Zuschauer die Sphäre von Geist und Geschäft, Medien und Öffentlichkeit in voller Erhabenheit; und der graue Mr. Nobody sieht sich aufregend einbezogen, wenn ihn das Video von Andreas Deinert zwischen den Burgtheaterportalen auf eine Riesenleinwand projiziert, so dass er bereits mitspielt, indem er dasitzt. Auf diese Weise triumphiert die metanarrative Ebene, und deren Urheber heisst Jan Bosse.

 

Daneben bedient "Der Fall McNeal" auch die voyeuristische Ebene. Geboten wird eine Ultraschall-Untersuchung von McNeals Leber und ein Herz-Kreislauf-Zusammenbruch. Später kommen Ehe und Familie des Schriftstellers zur Sprache, seine Zusammenarbeit mit der Buchagentin und seine Schwierigkeiten mit Frau und Sohn. Es fallen die Namen von Schwergewichten wie Friedrich Nietzsche, Annie Erneaux, Henrik Ibsen, Gustave Flaubert, William Shakespeare, Ronald Reagan und Harvey Weinstein. Dass "Madame Bovary" laufend falsch ausgesprochen wird, signalisiert Halbwissen und Angeberei, wobei sich nicht entscheiden lässt, wer für den Effekt verantwortlich ist: der grosse Schauspieler Joachim Meyerhoff oder der von ihm verkörperte Romanautor McNeil. Damit ist die Aufführung bis ins Detail von Doppelbödigkeit geprägt: Nichts von dem, was du siehst, ist echt!

 

Seit seiner Erhebung zum Nationaltheater im Jahr 1776 durch Kaiser Josef II. ruht das Burgtheater zu einem wesentlichen Teil auf dem Pfeiler des Boulevardstücks. Nun bringt es mit der seinem Rang geschuldeten Grandezza im "Fall McNeal" ein aktuelles Exemplar auf die Bühne, und der unbekannte Zuschauer kann erleben, dass es denen da oben nicht besser geht als ihm selber und dass er alles, was ihn beschäftigt, auf der Bühne wiederfindet. Die narzisstische Ebene. Sie zieht immer.

Schwierigkeiten mit dem Sohn.

Arbeit mit der Literaturagentin.