Une pièce sous influence. Martin Legros.
Schauspiel.
Sophie Lebrun und Martin Legros. La Cohue im Théâtre du Rond-Point, Paris.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 11. Oktober 2025.
> Das Stück ist aus der Improvisation erwachsen. Man merkt es der Aufführung an. Sie ist geprägt von den Stärken und Schwächen der Entstehungsart. Jedes Mitglied ist perfekt in der Rolle. (Sie wurde ihm ja auch auf den Leib geschrieben.) Die Dialoge blitzen. Aber die Handlung hat kein Ziel. Der Theaterdichter fehlte. Fachkräftemangel. <
Im Vorkapitel seines "Führers zu Psychiatrie und Psychoanalyse" erklärte der Vater der Transaktionsanalyse Eric Berne:
Während viele der Fallgeschichten alltägliche Vorkommnisse veranschaulichen, sollen einige von ihnen eindeutige Arten von psychischen Erkrankungen und emotionalen Anomalien illustrieren, d. h. pathologische Persönlichkeitstypen beschreiben. In solchen Fällen können die behandelten Situationen und Reaktionen dem Leser gelegentlich ungewöhnlich vorkommen. Das ist jedoch eher eine Frage des Masses als der Qualität. Bei genauer Betrachtung wird der Leser feststellen, dass die Intensität der Reaktionen unserer Probanden manchmal zwar erschreckend sein mag, ihre Reaktionsweisen jedoch keineswegs einzigartig sind. Die Geschichten dienen dazu, durch Übertreibung Dinge hervorzuheben, die jeder bis zu einem gewissen Grad in sich selbst und in seiner Umgebung finden kann. Das bedeutet, dass "psychisch Kranke" keine speziellen Instinkte haben, sondern bloss auf andere Weise allen Menschen gemeinsame zum Ausdruck bringen.
Im Rahmen solch verschobener, aber durchaus wiedererkennbarer Realität spielt La Cohue aus Caen ihre "Pièce sous influence" in Paris. Für die Schauspieler ein Labsal. Als scharfe Beobachter von Berufs wegen erfassen sie meisterhaft das Typische in seinen extremen Ausprägungen: einerseits in der Banalität von jedermanns Alltag, andererseits in der individuellen Verstiegenheit der Spinner. Durch Improvisation haben die Darsteller eine Situation entwickelt, in der sich Normalität und Verrücktheit kreuzen. Sie spielt an Karneval.
Anfangs durchschaut das Publikum die Lage nicht. Es sieht eine Frau hereinkommen, der eine Axt im Hirn steckt, und einen Mann, über dessen Kopf ein Blecheimer gestülpt ist. In Kontrast zum befremdenden Äusseren steht der Dialog. Er bringt das wohlbekannte Gekeif angejahrter Eheleute. Spannung entsteht dadurch, dass ein zweites Paar auftaucht. Der Mann steckt im Batman-Kostüm, die Frau trägt das ihre zusammengefaltet im Arm. Das neue Paar will das Haus des alten kaufen. Damit beginnen sich die Fäden in Vergangenheit und Zukunft zu erstrecken.
Was gesagt wird, ist nicht in allen Punkten wahr. Die Sprache dient nicht nur zur Information, sondern auch zur Kulisse, zur Täuschung, zum Angriff, und darüber hinaus zur Manipulation und Blossstellung der andern. Pinter stand Pate. – Mit der Zeit treten Motive ins Gesichtsfeld. Das mittelalterliche Paar muss das Haus verkaufen, weil es vom Unfalltod der vierjährigen Tochter durcheinandergebracht wurde. Der Vater sass am Steuer. Unausgesprochene Schuld und unausgesprochene Vorwürfe führen zu subaggressiven Ausfällen, Verstellung, Pose, Alkoholexzessen und Bizarrerie.
Auch bei den Käufern tritt Eigentümliches ans Licht. Sie bekennen sich zum Katholizismus. Das Gebot "Seid fruchtbar und mehret euch!" erfüllen sie durch die Herstellung einer kinderreichen Familie, und infolge der Ermahnung "Das Weib sei dem Manne untertan!" stellt die Frau ihren Wunsch nach dem Medizinstudium zurück.
Schliesslich steht auch das Haus auf der Kippe. Weitgehend geräumt, wirkt es in der Nacht zwischen Auszug und Einzug ungastlich. Für seine Räume sind die Menschen und Gegenstände bloss Vorübergehende. Nun kreuzt sich hier der Wunsch nach dem ewigen Andenken ans verstorbene Töchterlein mit dem Wunsch nach Abtragung von Mauern, um Licht und Durchlässigkeit für kommende Kinder zu gewinnen.
Die gegensätzlichen Motive gestalten die Handlung zum torkelnden Weg eines Betrunkenen in der Karnevalsnacht. Die vier Spieler sind voll in der Rolle. (Sie wurde ihnen ja auch auf den Leib geschrieben.) Die Dialoge blitzen. Die Darsteller des mittelalterlichen Ehepaars inszenieren sich und die Jungen selbst. Daneben schreibt der Papa-Darsteller die in gemeinsamer Improvisation erarbeitete Spielvorlage nieder. Die Verbindung zwischen allen könnte stärker kaum sein. Aber das Ganze läuft auf nichts hinaus. Da liegt der Unterschied zwischen den Stücken von Thomas Bernhard und der "Pièce" von La Cohue. Aber was will man? Die Handlungsbauer sind heute abgewandert in die Serien und zu den Filmen. Im Theater fehlen sie.
Die merkwürdige ...
... schräge Geschichte ...
... stellt uns vor Rätsel.
