Zwei Blumen im Winter.
Schauspiel nach dem Roman von Delphine Pessin.
Leonardo Raab, Manuel Hablützel, Anouk Hufschmied Hirschbühl, Ischa Heijnen. Bühnen Bern.
Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. September 2025.
> Ein einfaches, kleines Stück mit einem einfachen, kleinen Inhalt: Ein häuslicher Sturz erzwingt die Einlieferung ins Altersheim. Das Zimmer hat zwölf Quadratmeter. Die Pflegebedürftigkeit steigt. Der Tod kommt nach drei Jahren, gnädigerweise im Schlaf. – Für diesen einfachen, kleinen Verlauf finden die Bühnen Bern eine ganz zarte, wunderbar leise Theatersprache. Darsteller und Zuschauer wachsen in der Intimität von Vidmar 2 aufeinander zu. Tua res agitur. Mors certa. Ein kleines Stück. Ein grosser Abend. Less is more. <
Dem Programmzettel ist nicht zu entnehmen, wer die Theaterfassung des Romans von Delphine Pessin erstellt hat. Das Resultat aber ist bemerkenswert. Es zeichnet sich aus durch ein feines Gespür für Sprünge und Auslassungen. Der gleiche elliptische Stil prägt auch Inszenierung, Spielweise, Kostüm und Bühnenbild. Alle werden geformt von einem ausserordentlichen Sinn fürs exakte Minimum. Das imponiert.
Im Unterschied zum Spektakel – und diesem Willen ist ja die gesamte westliche Gegenwart unterworfen – wird bei der Produktion der "Zwei Blumen im Winter" nicht das Grosstun, sondern das Kleintun angestrebt. Eine bemerkenswerte künstlerische Haltung. Sie fragt bei allem: "Was kann man weglassen? Und das, was da stehengeblieben ist, kann man es nicht noch eine Spur feiner und leiser machen?" Auf diese Weise führt das Ethos, jeder Spur von Angeberei aus dem Weg zu gehen, zu einer Aufführung von tiefgehender Schlichtheit und Ehrlichkeit.
Was im Film amateurhaft wirken würde, stimmt in der intimen Spielstätte von Vidmar 2 gerade so, wie es daherkommt, mit diesen Spielern, dieser Ausstattung, dieser so improvisiert wirkenden und in Wirklichkeit doch so klug eingesetzten Imperfektion. Durch sie werden die "Zwei Blumen im Winter" des Berner Schauspiels zu einer einmaligen Sache.
Die Aufführung beginnt damit, dass drei verschiedene Personengruppen im Altersheim ankommen: Capucine als Praktikantin (Kriemhild Hamann), Violette als neue Bewohnerin (Susanne-Marie Wrage), und die Zuschauer als Beitrittskandidaten (N.N.). Die Praktikantin Capucine und die neue Bewohnerin Violette tragen Blumennamen. In deutscher Übersetzung heissen sie "Kapuzinerkresse" und "Veilchen". Der Winter schliesslich ist die letzte Jahreszeit des Lebens.
Die Introvertierten fremdeln zu Beginn und suchen sich dem Geschehen im Heim fernzuhalten. Die Extravertierten dagegen werfen sich gutwillig in die neue Situation. Alle aber müssen sich anfänglich zurechtfinden. Dafür geben ihnen die Anweisungen der Pfleger (Fritz Manhenke und Fabiano Bernardi) Orientierung. Mit der Zeit spielt sich das Ganze ein. Die Mitglieder der Zufallsgemeinschaft beginnen, sich zu kennen und ineinander zu wachsen, bis das schmerzhafte Ereignis von aussen eintritt: die Trennung durch einen Berufswechsel, ein Burnout, den Tod.
Unauffällig, schmuddelig und abgewetzt: das Mobiliar (Manuel Hablützel). Unauffällig, beiläufig und adäquat: die Kostüme (Anouk Hufschmied Hirschbühl). Unauffällig, stimmig und evokativ: die Musik (Ischa Heijnen) – an der Premiere noch um 5 dB zu laut, doch an den Folgevorstellungen wird sie sich wohl einpegeln.
Das Spiel der vier Darsteller: nicht überwältigend, aber überwältigend ehrlich. Sie verwirklichen unter der Regie von Leonardo Raab ein Ethos, welches übers Theatralische hinausgreift ins Menschliche. Von ihm berührt zu werden, ist als Erfahrung so selten, dass es sich lohnt, dafür an "Fressnapf" und "Tauchsport Käser" vorbei in die Pampa von Köniz zu fahren und dort in der intimen Spielstätte von Vidmar 2 des Berner Schauspiels die kostbaren "Blumen im Winter" aufblühen zu sehen.
Der Tagesbeginn.
Die Begegnung.
