Pagageno bekniet die bezaubernde Papagena. © Joel Schweizer.

 

 

Die Zauberflöte. Wolfgang Amadeus Mozart.

Oper.

Meret Lüthi, Anna Drescher, Tatjana Ivschina, Mario Bösemann. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 12. September 2025.

 

> Mario Bösemann heisst der Lichtgestalter am Jurafüdfuss. Man sollte ihn eigentlich nicht nennen. Sonst kommt er am Ende Theater Orchester Biel Solothurn noch abhanden. Tatsache ist nämlich, dass er im Lauf der Jahre sein Beleuchtungshandwerk emporgesteigert hat zur Kunst. Nun legt er mit der "Zauberflöte" ein Gipfelwerk vor, das den Rest der im übrigen durchaus anständigen Aufführung so weit hinter sich zurücklässt, dass man sagen muss: Es lohnt sich, nach Biel/Solothurn zu fahren ... wegen des Lichts. <

 

Die Geburt der Inszenierung aus dem Geist des Kalauers. "Die Zauberflöte" wird so oft gegeben, dass alle die alte Schwarte kennen. Letztes Jahr lief sie en suite den ganzen April hindurch in Stuttgart, immer ausverkauft; vorletztes Jahr mit der höchsten Zuschauerauslastung der Spielzeit in Bern.

 

Füglich kann man das meistinszenierte Werk des Theaterrepertoires als alte Kiste bezeichnen, erstmals ausgepackt am 30. September 1791 im Theater auf der Wieden in Wien. – Heute nun bildet die Kiste das tragende Element in Tatjana Ivschinas Bühnenbild bei Theater Orchester Biel Solothurn. Das Werk spielt auf einem Estrich. Da liegt in verschiedenen Kisten das alte Zeug herum, welches man nicht wegzuschmeissen wagte, weil man dachte, es könnte eines Tages noch von Nutzen sein.

 

Fatalerweise ist dieser Tag jetzt angebrochen. Die "Süddeutsche Zeitung" titelt in ihrer aktuellen Ausgabe auf Seite 3, "Thema des Tages":

 

Erstmals seit dem Grossangriff auf die Ukraine halten russische und belarussische Streitkräfte gemeinsam die Übung "Sapad" ab. Die Nato blickt mit Sorge auf ihre Ostflanke.

 

Und SRF meldet um 6:14 Uhr:

 

Laut einer Studie erreicht die Polarisierung weltweit einen Höchststand. Hass und Wut werden auch für Firmen zum Risiko.

 

Vor diesem Hintergrund erweist sich die alte Kiste von Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder als unerwarteter, aber dringender Beitrag der Kunst zur Gegenwart. Die grossen Werke der Klassik zeigen nämlich, wie die Welt ist, und wie der Mensch sein soll.

 

"Die Zauberflöte" beginnt mit der Bedrohung durch eine Schlange:

 

TAMINO.

Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sonst bin ich verloren,

Der listigen Schlange zum Opfer erkoren.

Barmherzige Götter! Schon nahet sie sich!

Ach rettet mich! Ach schützet mich!

(Er fällt in Ohnmacht.)

 

Der junge Mann (Sprecher: "Er ist Prinz!" – Sarastro: "Noch mehr – er ist Mensch!") vollzieht mit Prüfungen durch Feuer und Wasser den Weg vom Dunkel ans Licht.

 

TAMINO.

O ewge Nacht! Wann wirst du schwinden? –

Wann wird das Licht mein Auge finden? –

 

Am Ende der Wanderung erreicht er mit Pamina, seiner Braut, den Weisheitstempel:

 

SARASTRO.

In diesen heilgen Hallen

Kennt man die Rache nicht!

In diesen heilgen Mauern

Kann kein Verräter lauern,

Weil man dem Feind vergibt.

Wen solche Lehren nicht erfreun,

Verdienet nicht, ein Mensch zu sein.

 

Georg Wilhelm Friedrich Hegel:

 

Wie oft kann man nicht zum Beispiel das Gerede hören, der Text der "Zauberflöte" sei gar zu jämmerlich, und doch gehört dieses Machwerk zu den lobenswerten Opernbüchern. Bei der Tiefe, der bezaubernden Lieblichkeit und Seele der Musik weitet und erfüllt es die Phantasie und erwärmt das Herz.

 

In Biel/Solothurn packt Regisseurin Anna Drescher die alte Kiste wieder aus und stellt sie – Dank sei Mario Bösemann! – in ein zauberhaftes Licht. Bei stark beschnittenen Rezitativen versehen alle Beteiligten ihren Part nach besten Kräften. Imponierend, einmal mehr, ist das Sinfonieorchester Biel Solothurn. Die Ouvertüre, zügig geleitet von Meret Lüthi, bietet durch den sensiblen Duktus der Mittel- und Solostimmen reinen Hörgenuss.

 

Rebekka Maeder trifft als Königin der Nacht die famosen Spitzentöne, namentlich das dreigestrichene F, mit stupender Akkuratesse, und Nathanaël Tavernier als Sarastro erreicht mit seinem runden Bass anstrengungslos das grosse F, den tiefsten Ton der Partitur, zwei Oktaven unter dem mittleren C.

 

Ehrlich und einsatzfreudig in Gesang und Spiel agieren Remy Burnens als Tamino, Marion Grange und Lysa Menu (in Doppelbesetzung) als Pamina, Wolfgang Resch als Papageno und, zur Wonne des Publikums, Imogen Baker (alternierend mit Giulia Ferraldeschi) als Papagena. Die drei Damen, die drei Knaben und der Chor stehen nicht hinter ihnen zurück. So wird am Ende die Produktion mit Jubel aufgenommen.

 

Die Botschaft der "Zauberflöte" aber wird leider aktuell bleiben und noch viele, viele tausend Male wiederholt werden müssen, bis alle Menschen anfangen, "den nächtlichen Schleier von sich zu reissen".

Ein Prinz ... 

... ein loser Vogel ... 

... und drei Hofdamen.