Die Axt im Haus erspart den Mann. © Yoshiko Kusano.

 

 

Lyonesse. Penelope Skinner.

Schauspiel.

Sebastian Schug, Jan Freese, Hanspeter Liechti. Bühnen Bern.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 7. September 2025.

 

> Nach der Pause schlägt die Aufführung um; aber in die falsche Richtung. Sie wird schlapp. Ein Gebrechen, das sie mit vielen unterhaltenden Gegenwartsstücken teilt. Bis zur Pause kommt ein spannendes Element zum andern; und im Zuschauerraum entsteht von selbst die Frage: "Wo führt das hin?" Aber nach der Pause erfolgt die Antwort: "Nirgendshin." Damit ist natürlich der Frust vorprogrammiert. – Wer jedoch nach dem vielversprechenden Anfang die Vorstellung verlässt, trägt einen begeisterten Eindruck nach Hause. Man kann es offensichtlich auch zu gut machen wollen und dem Ding die Spitze abbrechen. Ach ja. Zum x-ten Mal: "Less is more." <

 

Lyonesse ist der Name eines mythischen Königreichs. Es befand sich auf einem Grat zwischen Land's End am südwestlichen Zipfel von Cornwall und den Isles of Sicily an der keltischen See. Der Sage nach wurde Lyonesse in einer einzigen Nacht vom Meer verschlungen. Nun spielt in Bern das Drama der Frauen, die im machistischen System untergehen, an diesem Ort. Dafür hat die britische Theaterautorin Penelope Skinner (laut der Tageszeitung "The Independent" "Our leading young feminist writer") den Plot von "Nora oder ein Puppenheim" genommen und zur Kontrafaktur umgestaltet.

 

In Henrik Ibsens Schauspiel aus dem Jahr 1879 zieht die Frau im letzten Akt aus, lässt Mann und Kinder zurück:

 

Nora: Du hast mich nie verstanden.

Helmer: Bist du hier nicht glücklich gewesen?

Nora: Nein. Das bin ich nie gewesen. Ich hab's geglaubt, aber ich war es nie.

Helmer: Du liebst mich nicht mehr.

Nora: So ist es.

 

Zur gleichen Feststellung kommt nun auch die 35-jährige Kate im Schauspiel der britischen Theaterautorin Penelope Skinner aus dem Jahr 2023. Nur fällt danach bei ihr der Vorhang nicht fürs Ende der Vorstellung, sondern nur für die Pause. Daraufhin geht es noch eine gute Stunde weiter. Und da zeigt sich: Kate ist nicht, wie Nora, gegangen. Sie ist nur, wie Lyonesse, verschwunden. Und das Stück schliesst mit einer Metapher: Die Käfigtür wird geöffnet, aber die gefangenen Vögel fliegen nicht weg. Sie können es nicht. Sie waren schon umgebracht und ausgestopft worden, als sie hineinkamen.

 

Wie bei Ibsens weltanschaulichen Stücken erlahmt indes das Interesse, als nach der Pause die Zustände nicht mehr entfaltet, sondern nur noch festgestampft werden. Das trübe An-Ort-Treten aber zeigt: Es gibt keine (Er-)Lösung. Das männliche kapitalistische System ist stärker als die Utopie der weiblichen Selbstbestimmung.

 

Wie immer bei erfolgreichen gehobenen Boulevardstücken verstehen es die Beteiligten, alle Theaterstrippen zu ziehen. Penelope Skinner illustriert den Zwang der Verhältnisse durch Themen aus Alltag und Gegenwart wie Eisprungzeit, MeToo und den Schwierigkeiten der Vereinbarkeit von Ehe, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit; das ergibt schon einmal ein tragfähiges Wiedererkennungs- und Identifikationspotential. Dazu kommt als Glamourfaktor die Verknüpfung des Personals mit der Film-, Literatur- und Theaterbranche sowie – Tüpfchen auf dem I – der Oxford University! Mit diesen Elementen wird das bernische Gemüt von Ehrfurcht gepackt.

 

In Zusammenarbeit mit Lichtgestalter Hanspeter Bieri stellt Bühnenbildner Jan Freese ein wunderbar heruntergekommenes, atmosphäredichtes Interieur auf die Riesenbühne von Vidmar 1, und Regisseur Sebastian Schug bespielt es geschickt mit mal feinen, mal kräftigen Überraschungen, deren Humor das Zuschauerherz mit Britishness beglückt.

 

Die zuverlässige Leistung des Ensembles mit Jeanne Devos, Isabelle Menke, und Kilian Land ist beeindruckend, wobei Milva Stark die absolute Krone gebührt: Voll in der Rolle, kein falscher Ton, jeder Moment stimmig und wohldosiert. – Da das Stück bis zur Pause ein vielversprechendes Element ans andere reiht, verdeckt die Frage: "Wo führt das hin?" die Schwäche von Penelope Skinners Charakterzeichnung. Im Unterschied zu Ibsen sind bei ihr, wie beim Lustspiel, alle Charaktere statisch. Keine Person überschreitet die ihr gezogenen Grenzen, bei keiner deckt der Handlungsverlauf neue Seiten auf. So wird die Aufführung nach der Pause schlapp.

 

Mit Hans Arp als Supervisor wäre das nicht passiert. Antoine Poncet konnte ein Lied davon singen. Ab 1966 eroberten seine Grossskulpturen die Plätze. Von da an wurde jährlich mindestens eine aufgestellt, in Genf, in Paris, in Toronto, in Chicago, in New Orleans, in Peking, in Baden-Baden, in Lausanne, in Martigny, in Shanghai ... ununterbrochen bis 2020. Zwei Jahre später, 2022, erlosch der Bildhauer mit 94 Jahren, reich gesegnet an Werken und Tagen.

 

Wichtige Anregungen erhielt er vom heiteren, humorvollen Hans Arp. Schon die erste Begegnung schlug ein. Als Antoine Poncet der Kamera der "Plans Fixes" von ihr erzählt, kommen ihm Tränen in die Augen: "Sie sehen, ich bin bewegt. Als erstes fragte mich Arp: 'Haben Sie ein Auto?' Ich antwortete: 'Warum?' Darauf Arp: 'Ich schenke Ihnen eins.' "

 

Antoine Poncet arbeitete vier Jahre bei Hans Arp und stand ihm als Steinmetz zur Seite. Daneben schuf er eigene Werke. Einmal zeigte er dem Mentor eine menschliche Plastik aus Holz. "Haben Sie eine Säge?", fragte Arp. "Ja, warum?" "Holen Sie sie! Und jetzt helfen Sie mir!" Arp setzte das Sägeblatt auf den Rumpf der Gestalt und fing an, es mit Poncets Hilfe hin und her zu ziehen. "Sie können gut sägen!", stellte er anerkennend fest. Als der Vorgang beendet war, legte Arp den Rumpf beiseite und stellte den Kopf auf die Beine der Figur. "Sehen Sie: So ist es viel interessanter!"

 

Merke: Mit dieser Lektion liesse sich etwas machen für die nahezu dreistündige Aufführung von "Lyonesse"!

Mal feine ...

... mal kräftige ... 

... Überraschungen.