Schauder um Schauder. © Jan-Pieter Fuhr.

 
 

 

Lucia di Lammermoor. Gaetano Donizetti.

Oper.

Ivan Demidov, Hinrich Horstkotte, Siegfried E. Mayer. Staatstheater Augsburg.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 8. Januar 2024.

 

> Bemerkenswert an der Augsburger Aufführung von "Lucia di Lammermoor" sind die Liebe und die Sorgfalt, mit denen das Leitungsteam an das Werk heranführt. Die Entdeckung jeder neuen Schicht wird begleitet von einem auratischen Hauch. So weckt das düstere Geschehen Schauder um Schauder – ganz im Sinn der Mittelalterromantik von Walter Scotts Vorlage. <

 

Das rembrandtsche Helldunkel, das die ausdrucksstarken Kostüme umspielt, entspricht in der konsequenten und geschlossenen Interpretation von Hinrich Horstkotte (Regie und Kostüme) dem Geist, der "Lucia di Lammermoor" durchweht: Es gibt im Schottland der Krieger und Burgen zwar Licht (das heisst Liebe), aber das Helle erscheint nur als isoliert aufleuchtender Punkt in einer Welt der Schwärze (das heisst Hass). Das Sichtbarwerden und Verschwinden, unter dem die Handlungselemente ihre Wirkung entfalten, verleiht der Tragödie den Charakter des Traums. Auf der Bühne von Siegfried E. Mayer überwindet folglich eine besondere Fluidität das starre, mechanische Nacheinander der alten Nummernoper.

 

Der Übergang von einem Bild zum andern erfolgt durch Bewegung. Am Ende einer Szene schafft eine Figur, die mal Diener ist, mal Erscheinung, als verbindendes Element den Zusammenhang des Spiels, jedoch weniger auf inhaltlicher als auf ästhetischer Ebene. Mit diesem Ansatz bekommt die Augsburger "Lucia" eine eigene Ganzheit, ja sie wird zu einer Neuschöpfung aus einem Guss.

 

Die Produktion erzählt die Handlung im Geist der Urheber. Nicht Umdeutung ist das Ziel, sondern Vertiefung. Die Unmenschlichkeit starrer Verhältnisse, welche aus dem Osten kommend die Tagesaktualität bestimmt, rückt durch die verfremdende Form der Oper, die gleichzeitig Distanz und Intensität schafft, den Zuschauern beklemmend nahe. Auf diese Weise belegt die Aufführung am Augsburger Staatstheater den Satz von Ezra Pound: "Das Genie ist immer unser Zeitgenosse."

 

Sängerisch ist das Ensemble den Anforderungen gewachsen, leistet aber – im Unterschied zu Regie, Bühnenbild, Kostümen und Beleuchtung – nichts Ausserordentliches. Der Chor ist schwach. Die Augsburger Philharmoniker werden durch die Tatsache, dass das leidige Provisorium im Martinipark die Aufstellung der Pulte in die Breite zieht, zu einer flachen Ausdrucksweise geführt. Die Restaurierung des historischen Hauses am Kennedy-Platz kommt seit Jahren nicht voran.

 

Eines schönen Tages aber wird sich Ivan Demidov in einem angemesseneren Rahmen entfalten können. Der 33-jährige Dirigent aus Usbekistan stiess 2017 am internationalen Wettbewerb von Besançon bis ins Finale vor und empfahl sich mit seiner Leistung dem Westen. Im selben Jahr wurde er zweiter Kapellmeister in Augsburg. Seit 2019 ist er erster Kapellmeister und Stellvertreter des GMD. Als er nach der "Lucia"-Pause wieder den Stab ergriff, rief eine Stimme: "Bravo Maestro!" Das Publikum und das Orchester begannen zu applaudieren. Offensichtlich ist seine Karriere noch nicht zuende.

 

Mit Gewalt ... 

... erzwungene Ehe...

... bringt Unglück. 

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