Frauendarstellungen. © Matthias Horn.

 
 

 

Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Rainer Werner Fassbinder.

Schauspiel.

Lilja Rupprecht, Anne Ehrlich, Moritz Grewenig. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Dezember 2023.

 

> In den "bitteren Tränen der Petra von Kant" realisiert das Burgtheater Wien grosses, aufwühlendes Schauspielertheater. Die beiden Hauptrollen sind vorzüglich besetzt und geführt; die vier Nebenrollen nicht minder. Das sensible Zusammenspiel bringt ein dicht auskomponiertes Stück mit ergreifend wahren Tönen. <

 

Die Geschichte lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Eine Modedesignerin Mitte vierzig, menschlich vereinsamt, beruflich auf dem absteigenden Ast, verfällt einer 23-Jährigen. Petra von Kant verspricht der Jungen eine Karriere als Model und sich selber die Verwirklichung einer wunschlosen Liebe. Doch die Angebetete lässt sich auf die Länge nicht festbinden. Immer ist es die Ältere, die sagt: "Ich liebe dich." Die Jüngere antwortet bloss: "Ich dich auch." Damit liegt die Beziehung schief. Es fehlt ihr, wie Jürg Willi, der Ehetherapeut, sagte, die Äquivalenzbalance.

 

Unter der Regie von Lilja Rupprecht dauert die Darstellung des unglücklichen Verhältnisses zwei Stunden. Wenn die Zeitgenossen dem Schriftsteller Pierre Carlet de Marivaux (1688–1763) vorwarfen, in begrenztem Rahmen immer nur das eine Thema – die Liebe – abzuhandeln, als würde er mit dem Stichel der Maserierung eines Parkettstücks entlangfahren, so untersucht in den "bitteren Tränen der Petra von Kant" Rainer Werner Fassbinder eine grundsätzlich unhaltbare Beziehung mit Mikroskop und Pinzette.

 

Für den Erfolg hängt alles vom Nuancenreichtum der Schau­spielerin ab, die Petra von Kant verkörpert. Sie steht un­unter­brochen auf der Bühne. Sie muss den Verlauf so anlegen, dass die Gefühls- und Intensitätswechsel überzeugend ausfallen und dass es spannend ist, dem banalen, weil seit Methusalem immer wieder aufgewärmten Hin und Her einer Beziehungskiste beizuwohnen. Dörte Lyssewski bringt die erforderlichen Farben mit, und auch die Klänge. Bei ihr bekommt die verletzte Diva, als sie klein wird, Grösse.

 

Leicht wie ein Vogel flattert ihr die unbekannte Reizvolle zu. Sie ist liebenswürdig, verkörpert die Jugend. Für Petra von Kant öffnen sich bisher unrealisierte Möglichkeiten des Lebens. Begreiflich, dass sie sich von der Jungen angezogen fühlt. In diesem Umstand zeigt sich, dass nicht Schuld dem Drama zugrundeliegt, sondern Verhängnis. Anne Ehrlichs Inter­pretation ist anziehend und glaubhaft – im Zögern, im Nach­geben, im Erliegen, im Flüchten.

 

Unter Verwendung von Video wird das Bühnenbild von Moritz Grewenig zu einer Installation, welche die Zeitlosigkeit des Traums spiegelt. Der Lauf des Spiels erweist sich somit als Ausfaltung eines Zustands – eines falschen Zustands. Aber Unbefriedigendes findet sich nicht nur auf der Bühne ... Bewegt und nachdenklich verlässt man das Theater. Die Figuren begleiten einen auf dem Heimweg.

 

Entfernung. 

Ratlosigkeit. 

Einsamkeit. 

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