Der Stuhlkreis geht zu Bruch. © Matthias Horn.

 
 

 

Die Nebenwirkungen. Jonathan Spector.

Schauspiel.

Jan Philipp Gloger, Marie Roth.  Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Dezember 2023.

 

> Zwei Ursachen dämpfen das Vergnügen: (1) Das Stück gehört nicht ans Burgtheater. (2) Das Ensemble ist uneinheitlich. Beide Faktoren würden auch anderswo keine Freude auslösen. Jetzt ist das Haus halb leer. Am Buffet sagt der Bediener: " 'Die Nebenwirkungen' sind ein Schlag ins Wasser." <

 

Das Stück von Jonathan Spector – Originaltitel "Eureka Day" – ist zyklisch angelegt. Die letzte Szene nimmt die erste wieder auf: Schulratssitzung an einer amerikanischen Privatschule. Dazwischen liegt ein Jahr. Der riesige Stuhlkreis, der zu Beginn des Unterrichtsjahrs die Schüler erwartete, ist auf die Hälfte geschrumpft. Es gab zahlreiche Austritte. An ihnen zeigen sich die Nebenwirkungen eines Mumps-Ausbruchs.

 

Die Krankheit hätte nicht so heftige Folgen haben können, hätte sich nicht das Institut als Vorbild für Wokeness und politische Korrektheit verstanden. Jetzt spaltet die Frage des richtigen Umgangs mit der Impfung die Community, und die erbitterten Auseinandersetzungen im 2018 uraufgeführten Stück nehmen all die heissen und abstrusen Themen vorweg, welche Corona zwei Jahre später in die öffentliche Debatte spülte.

 

Um sie auszubreiten, sind die Zusammenkünfte eines Schulrats der geeignete Ort. Sie bringen den Katalog der Themen (Genderneutralität, Inklusion, Achtsamkeit, Wissenschafts­skepsis) und den Katalog der Formen (Brainstorming, Verteilung selbstgebackener Kekse, Gruppen-Chat) auf die Bühne. Der Wiedererkennungseffekt ist hundertprozentig. Er spiegelt die soziale Wirklichkeit und weckt das Gelächter im Saal, hält jedoch das Stück an der Oberfläche fest, und am Schluss wird's platt. Alles, was passiert, kommt von aussen, nicht von innen. Die Figuren sind nur Vertreter von Einstellungen, nicht mehrschichtige Menschen.

 

Sture Einseitigkeit gehört zur Komödie. Doch weckt die Gattung in ihren gelungensten Exemplaren auch Sympathie gegenüber den verblendeten Hauptfiguren. Dem "Sturm" von Shakespeare, dem "Menschenfeind" von Molière, dem "Triumph der Liebe" von Marivaux, der "Minna von Barnhelm" von Lessing, dem "Schwierigen" von Hofmannsthal sind tragische Aspekte beigemischt. Solche Stücke gehören ans Burgtheater.

 

Oberflächliches Vergnügen aber hat an der ersten Sprechbühne nichts verloren. Es sei denn, ein genialer Regisseur leiste das, was der Vorlage versagt blieb. Jan Philipp Gloger brachte es nicht. Er hielt das Spiel allzu vorsichtig im realistischen Stil. Die Wiedergabe der Wirklichkeit, dachte er vermutlich, sei grotesk genug. Doch Johann Nepomuk Nestroy, Wilhelm Busch und Friedrich Dürrenmatt sahen das anders. Aus diesem Grund gewannen ihre Stücke mehr Kraft als "Die Nebenwirkungen".

 

Zusätzlich geschwächt wird die Aufführung durch das uneinheitliche Ensemble. Tadellos sind einzig Markus Hering, eine Stütze des Hauses, und Maximilian Pulst. Nah dran ist die zuverlässige Regina Fritsch, doch am besuchten Abend eine Spur zu gedämpft. Sprachlich steigerungsbedürftig erweist sich Zeynep Buyraç und weitgehend unverständlich Lilith Hässle. Fazit: Die Produktion gehört nicht ans Burgtheater. Sie würde aber auch anderswo keine gute Fasson machen.

 

Verschiedene Formen ... 

... von Beziehungen ... 

... im Schulrat. 

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