Nah am Original und doch anders. © Susanne Hassler-Smith.

 
 

 

Die Zauberflöte. Wolfgang Amadeus Mozart, Emanuel Schikaneder, Nils Strunk.

The opera but not the opera.

Nils Strunk, Anneliese Neudecker, Norbert Gottwald.

Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 14. Dezember 2023.

 

> Am vormals k.k. Hofburgtheater bildet die Uraufführung der "Zauberflöte" (ja, die ist heute zu sehen!) eine einzige aufstrebende Linie. Der 32-jährige Nils Strunk, Schauspieler, Komponist, Bühnenmusiker und Chorleiter, seit 2021 festes Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, hat nicht nur die Musik von Herrn Compositeur Joannes Chrysostomus Theophilus Wolfgangus Mozart geistvoll für drei Bühnenmusiker ins 21. Jahrhundert weitergeschrieben, sondern auch die Handlung von Herrn Johann Joseph Schikeneder (Bühnenname: Emanuel Schikaneder) derart hinreissend umgestaltet, dass am Ende – eine weitere Premiere – das riesige, vollbesetzte Haus Reihe um Reihe aufsteht, um den Künstlern Ovation zu spenden. <

 

Die Aufführung beginnt im Dunkeln bei geschlossenem Vorhang. Es erklingen die berühmten drei Akkorde der Ouvertüre. Aber nicht von Instrumenten gespielt, sondern chorisch vorgetragen. Damit ist der Stil des Abends schon definiert: nah beim Original, und doch anders. Beim frohgemuten Pápa-pápa-pápa des Allegros summt man innerlich mit. Das Werk erreicht uns. Dabei hat die Handlung noch gar nicht begonnen.

 

Es wird hell. Die Artisten einer Wandertruppe erobern die Bühne des Wiener Burgtheaters. Ihre geschwungenen Bänder und grossen Gesten stammen aus Fellinis "Clowns". Spektakel ist angesagt. Auf dem Thespiskarren erscheint ein sogenannter Prinz. Die weisse Perücke ist lächerlich hochtoupiert, und der vorgewölbte Bauch erinnert an die alten, kahlen Tenöre, die nur noch ihr Brot fanden, indem sie durch die Dörfer tingel­ten.

 

Die Distanz nimmt zu, als das Bildnis der Prinzessin entrollt wird. Unter einer grauen Maria-Theresia-Perücke gleicht Pamina Mozarts Stanzerl, aber ins unsinnlich Matronenhafte gestei­gert. So bewegt sich die Handlung von uns weg. Durch die liederliche Diktion kühlt sich das Verhältnis zu den Figuren zusätzlich ab. Sie tragen Microports, doch man versteht kaum ein Wort. Ein Tiefpunkt auf der Bühne des Burgtheaters, wo noch vor wenigen Jahren selbst bei gemurmeltem Text jede Silbe von der hochbetagten Elisabeth Orth klar und deutlich herüberkam.

 

Zum Glück sind Text und Geschichte bekannt. Was man nicht versteht, kann man sich denken. Während sich die Textverständ­lich­keit unter dem Niveau einer ersten Sprechbühne bewegt, fallen die Qualität der Raum- und Lichtbehandlung (Anneliese Neudecker, Norbert Gottwald) und die Qualität der Musik (Nils Strunk) umso beeindruckender auf. Schon bei "Mozart und Salieri" 2020/21 in Karlsruhe hat Nils Strunk Unüberbietbares geleistet. Die Produktion legte an den Tag, dass das Takt­gefühl des Mannes zugleich Figuren, Künstler, Handlung, Musik, Raum und Zeit umfasst. Eine seltene Vollständigkeit der Begabung. Man muss sie auf den Händen tragen.

 

Bald geht der erste Akt zuende. Sarastro tritt auf. Und da ereignet es sich, dass ein einziger Schauspieler den Spin kehrt. Mit seiner glasklaren Diktion reisst Wolfram Rupperti die Aufführung nach oben, und unmerklich beginnt sich, wie in Karlsruhe, das Wunder der Verschmelzung zu vollziehen. Das Burgtheater hebt ab. Raum, Geschichte, Oper, Figuren und Zuschauer verwachsen zu einer Familie. Am Ende steht das riesige, vollbesetzte Haus Reihe um Reihe auf, um den Künstlern minutenlang Ovation zu spenden. "Die Zauberflöte – the opera but not the opera" hat sich als Sternstunde des Theaters in die Besucherherzen eingeschrieben.

 

Oper, Künstler ... 

... Figuren verwachsen ... 

... mit dem Haus. 

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