Die dahingegangene Kaiserin. © Marcel Urlaub.

 

 

Ach, Sisi - neunundneunzig Szenen. Rainald Grebe und Ensemble.

Revue.

Volkstheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 10. März 2022.

 

> Es spielt keine Rolle, ob es 99 Szenen sind oder 98 oder 100 oder 95 oder 73, die das Volkstheater in zwei Stunden darbietet – das Resultat ist in jedem Fall dasselbe: ein Scherbenhaufen. Die Splitter sind zwar mit dem Namen Sisi assoziiert, aber trotzdem unbedeutend und amorph. Nun, Scherben kehrt man weg. Wer sich dagegen durch Kitschliebe und nostalgisches Sentiment mit der dahingegangen Kaiserin des Habsburgerreichs verbunden fühlt, wird für jedes Staubkorn dankbar sein, das aus der Vergangenheit herüberweht. So irrational ist der Sisi-Kult. <

 

Anna Badora und Kay Voges: Alte und neue Intendanz am Wiener Volkstheater. Beide haben dasselbe Problem: Die Leute kommen nicht. In ihrer Not kommen beide auf den gleichen Gedanken: Wir machen eine Revue und gruppieren die Szenen um einen nostalgischen Kern. Bei der Badora war es die grosse Geschichte des Hauses. Bei Voges ist es das grosse Tamtam um die Kaiserin Elisabeth. Beide Male liegt der Dreh darin, dass die Beteiligung, welche die Bühne nicht durch Spiel und Kunst hervorzurufen vermag, vom Publikum mitgebracht wird.

 

Obwohl zweimal dasselbe gemacht wird, reagiert die Presse unterschiedlich. Bei der alten Intendanz konstatiert sie einen weiteren Flop, bei der neuen charmante Unterhaltung (vielleicht auch nur, weil sie wünscht, dass das Volkstheater nach Jahren des Niedergangs wieder auf die Beine komme). Dabei sind die Produktionen, was die Machart angeht, auswechselbar. Bei beiden gibt es ein Moderatorenteam. Bei beiden wird gesungen, gespielt, doziert, kommentiert, kostümiert und projiziert. Und bei beiden ist es beliebig, was vorher und nachher kommt, was geboten und ausgelassen wird. Für beide ist die Vergangenheit nur ein Steinbruch, aus dem Relikte hervorgeschaufelt werden, wie es Geologie und Zufall wollten. So bieten die Abende nur heterogene Splitter, nichts Ganzes.

 

Bei aller Gleichartigkeit aber trennen zwei Unterschiede die Revuen. Erstens: Die alte war bewegter und lebendiger. Sie hatte, auch räumlich, mehr Tiefe. Die neue ist statisch, flach und fad. Die Darsteller stehen auf der Vorderbühne und tragen vor: Informationen und Lieder. Zweitens: Bei der alten gab es Dialoge. Bei der neuen lediglich Monologe und Statements (auch lyrische und gesungene). – Keine Frage, was packender ist. Nur: die Dialoge der alten Revue kamen aus der Vergangenheit. Sie stammten aus Stücken, die in der hundertjährigen Geschichte des Volkstheaters zur Aufführung gekommen waren. Dichter hatten sie geschrieben. Zum Beispiel die Begegnung des Soldaten mit der Dirne bei der Augartenbrücke in Schnitzlers "Reigen": Die eine Person will in die Kaserne, die andere will Geld. Da stossen verschiedene Sprachen aufeinander, verschiedene Schichten, verschiedene Impulse, verschiedene Schicksale, und gleich wird kenntlich, welchen Reichtum das Theater der Dichter der Bühne brachte. Wer künstlerisch empfänglich ist, trauert dieser Epoche nach, nicht der von Kaiserin Elisabeth.

 

Das Moderatorenteam. 

Der Kaiser. 

 
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