Auftrumpfen ist Trumpf. © Nikolaus Ostermann.

 

 

humanistää. Nach Ernst Jandl.

Revue.

Claudia Bauer. Volkstheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 10. März 2022.

 

> Als ich, fünfzehn Jahre ist's her, Hugues Gall, dem damaligen Direktor der Pariser Nationaloper, von Marguerite Donlons choreografischem Konzept für Prokofjews "Romeo und Julia" in Saarbrücken vorschwärmte, unterbrach er mich: "Ça fonctionne?" Überrascht hielt ich inne: "Non." Die gleiche Antwort müsste ich geben, wenn ich zu den "humanistää" am Wiener Volkstheater befragt würde. Aber zum Glück für das Haus sah die Jury des Theatertreffens das Ganze anders und lud die Produktion als eine der zehn bemerkenswertesten dieser Spielzeit nach Berlin ein. <

 

Drei Elemente machen die "humanistää" am Wiener Volkstheater bemerkenswert. Zunächst einmal der Chauvinismus. Mit Ausnahme der Eröffnungspremiere nach der vorletzten Renovation (1980/81) habe ich das Haus noch nie so voll gesehen. Doch diesmal war es nicht ein Festakt, zu dem die Leute hinström­ten, sondern eine Repertoirevorstellung. "Mit Jandl sind wir eingeladen worden, den Berlinern zu zeigen, dass wir auch wer sind." Die Worte des unbekannten Besuchers beglaubigten sich durch einen energisch prasselnden, mit Heullauten durchzogenen Applaus, der nach mehreren Verbeugungen erst verstummte, als eine Schauspielerin für die Solidaritätsaktion mit der Ukraine um Stille bat. Dann brach der Beifall wieder los.

 

Das zweite Element, das die Vorstellung bemerkenswert macht, bilden die Texte von Ernst Jandl. Sie zeigen nicht bloss blödelnde Absurdität, sondern alzheimerische Dekomposition von Logik, Sprache, Grammatik und Begrifflichkeit. Durch die Ritzen nimmt das Unnennbare Besitz von Raum und Geist und füllt sie mit Grauen. In die Stille aber dringt das Wispern des Numinosen:

 

wenn du haben verloren den selbst dich vertrauenen als einen

schreibenen; wenn du haben verloren den vertrauenen in den eigenen

kreativitäten, wenn du haben verloren den methoden, den techniken

zu richten den lebendigen und den toten; wenn du haben verloren den zusammensetzen von worten zu satzen; wenn du haben verloren den worten überhaupten, sämtlichen worten, du haben

nicht einen einzigen worten mehr; dann du vielleicht werden anfangen leuchten, zeigen in nachten den pfaden denen hyänen, du fosforeszierenen aasen!

 

Wie solche Rede aufzufassen sei, erkärt der glanzvolle Essay des Dramaturgen Matthias Seier (das dritte Element, das die Vorstellung bemerkenswert macht). Er besteht nur aus vierzig Programmblattzeilen. Sie benennen die Textbasis für den Abend: Jandls zwei bekannteste Bühnenwerke ("die humanisten", 1986, "aus der fremde", 1979), "und dazwischen blitzen immer wieder weitere texte, weitere situationen und songs auf". Könnte man ihnen in der Stille nachhören, könnte man erfahren:

 

in den auseinanderstrebenden, frei flottierenden sprachgebäuden jandls kann die welt endlich so dargestellt werden, wie man selbst ihr immer wieder begegnet: als expressive aneinanderreihung von sinneseindrücken, als fragmentarisches erleben von gesellschaft, als trügerisches wandeln zwischen derber komik und meilenweiter melancholie.

 

Matthias Seier

 

Doch nun funktioniert das Ganze nicht (ausser man trägt die Brille der Berliner Jury). Die Kelle, mit der Claudia Bauer anrichtet, ist zu gross. Immer wieder erreichen die Pegelspitzen der Verstärkeranlage den roten Bereich und verzerren Klang und Worte. Und durch eine schräge Darstellungsweise verdoppelt die Regisseurin den schrägen Text. Aber ist Verdoppelung nicht Kitsch? Was für eine Frage, Alterchen, in welcher Zeit lebst du denn?!

 

Mit dem Konzept "eine abschaffung der sparten" liegt die Inszenierung im Trend. Sie leistet durch Show und Blingbling die Vermischung von Tanz, Musik, Sprache und Video. Und das im Format XXXL. Vorbei die Zeit, als es hiess: "Weniger ist mehr." Auch Mies van der Rohe, der die Maxime der Zurückhaltung unter dem Label "Less is more" nach Amerika brachte, ist passé. Wir leben in der Post-Postmoderne. Da ist Auftrumpfen Trumpf. Zur Freude des Theatertreffens, das sagt, wo's lang geht. Ach, Gegenwartsschauspiel! "Hinter der Trommel marschieren ..."

 

Aneinanderreihung von Sinneseindrücken. 

 
 
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