Geprägt von der harten Sprache der Neuen Sachlichkeit. © Matthias Horn.

 

 

Automatenbüfett. Anna Gmeiner.

Schauspiel.

Barbara Frey, Martin Zehetgruber. Burgtheater Wien.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 10. März 2022.

 

> Das "Automatenbüfett" von Anna Gmeyner ist eine Einzigperle, und Regisseurin Barbara Frey gibt ihr, zusammen mit dem überragenden Burgtheater-Ensemble, die richtige Fassung. Auf diese Weise erscheint hinter dem matten Oberflächen­glanz des alten Stücks eine zurückgehaltene Glut, und die poetische Aufführung wird aufgeladen mit Kraft und Intensität. <

 

Wer aus dem Bahnhof von Biel auf die Stadt zugeht, staunt immer wieder, wie gut sich die Häuserkarrees der Neuen Sachlichkeit gehalten haben. Ihre grosszügige Architektur ist geprägt von Geradlinigkeit und Ehrlichkeit, und durch den Verzicht aufs Ornament bekommen die Fassaden den Charakter der Souveränität.

 

Aus der selben Zeit – den Dreissigerjahren des letzten Jahrhunderts – stammt das "Automatenbüfett", das dritte Stück der gebürtigen Wienerin Anna Gmeyner. Am 25. Oktober 1932 kam es am Hamburger Thalia-Theater zur Uraufführung. Die Autorin war damals dreissig. Sie emigrierte noch im selben Jahr nach Paris, dann London. 1991 starb sie in New York.

 

Das "Automatenbüfett" ist geprägt von der knappen Sprache der Neuen Sachlichkeit. Das Programmheft erwähnt die Namen von Horváth und Fleisser, den Zeitgenossen. Die Linie wird sich später verlängern zu Brecht und Dürrenmatt. Gmeyners Stück versammelt einfache Menschen, die nicht vergessen lassen, dass Gott sie aus Lehm geschaffen hat. Und in den Lehm zieht es sie wieder zurück. Das macht ihr Leben zu einer schwermütigen Geschichte.

 

Martin Zehetgrubers Bühnenbild drückt das symbolisch aus: Oben ist die Luft, das Wasser, der Himmel, die Weite. Um sie zu sehen, müssen die Zuschauer in den ersten Reihen den Kopf in den Nacken werfen. Die beiden Hauptfiguren, die sich in dieser Höhe begegnen, wollen weg – von den Menschen, vom Unglück – in die Freiheit. Sie meinen, sie im selbstgewählten Tod zu finden. Ironischerweise heissen sie Adam und Eva. Doch der Stückverlauf will, dass sie einander vor dem Untergang retten, um dann zusammen aufzubrechen in die unbekannte Ferne. Damit kommen sie nicht aus dem Paradies in die Welt, sondern aus der Hölle; sie heisst ironischerweise Automatenbüffett; ein fensterloser, dumpfer Raum.

 

Zur Darstellung der Verhältnisse findet Regisseurin Barbara Frey eine Sprache, deren Poesie dadurch zustandekommt, dass sie die Klarheit und Sachlichkeit des Stücks mit den schrägen Linien der Karikatur kombiniert. Auf diese Weise ist dem Bekannten ein Schuss Verfremdung beigemischt, und die Menschen sind schärfer umrissen als im Realismus.

 

Eigenständig wie das alte Stück ("Anna Gmeyner blieb Zeit ihres Lebens autonome Aussenseiterin" [Programmheft]) erscheint die Aufführung gleichzeitig unmodisch und autonom. Die Darsteller (allesamt hors concours) verstehen sich so virtuos auf die leisen, beiläufigen, absichtslos-dekuvrierenden Töne, als hätten sie nie anders gespielt; dabei liegt doch heute die Konvention im Grellen und Überdrehten.

 

Eine Sensation für sich bildet die Artikulation. Wo, ausser in Wien, kann man in der elften Reihe noch jede Silbe verstehen, egal, wie leise gesprochen wurde? Aber ein Wunder ist das nicht. Das Programmheft weist im Produktionsteam die Position "Stimmtraining" auf (Almuth Hattwich). Der Erfolg zeigt, dass sich die Ausgabe gelohnt hat. Sonst wäre die melancholische Lakonie des "Automatenbüfetts" nicht möglich geworden, und im Spektrum des Gegenwartstheaters würde eine Farbe fehlen, für die es sich lohnt, ans Burgtheater zu fahren.

 

Zeitlebens ... 

... eine autonome ... 

... Aussenseiterin. 

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt 0