Amphitryon 38. Jean Giraudoux.

Komödie.

Peter-Andreas Bojack, Carlo Coene. Städtebundtheater Biel–Solothurn.

Bieler Tagblatt, 4. Januar 1984.

 

 

"Amphitryon 38" nennt Jean Giraudoux seine Komödie in drei Akten. Denn sie ist – nach seiner Zählung – die 38. Fassung des griechischen Sagenstoffs. Jupiter, der Göttervater, dringt in eine fremde Ehe ein und zeugt einen Halbgott: Herkules, den stärksten aller Helden. Die Aufführung des Städtebundtheaters allerdings war eher schwach.

 

Wieder einmal die alte, die uralte Geschichte: Gott steigt auf die Erde, um mit einer sterblichen Frau ein Kind zu zeugen. Jupiter ist es diesmal, der Vater der antiken griechischen Götter.

 

Er hat sich in Alkmene verliebt, eine brave, kleine, anmutige Frau. Sie ist zwar verheiratet – aber das Problem liegt nicht da. Schwierig wird die Sache aus einem andern Grund: Alkmene liebt ihren Gatten aus vollem Herzen, und keinen andern sonst. "Lieber sterbe ich", so sagt sie sinngemäss, "als dass ich mit einem fremden Mann schlafe."

 

Wie kann der Gott sich unter diesen Umständen noch der Geliebten nähern? Sicher nicht im Glanz seiner strahlenden Majestät. Dann nämlich würde er verschmäht. Also muss er die Züge eines Menschen annehmen, mit Falten in der Stirn und Krähenfüssen in den Augenwinkeln.

 

Das ist erniedrigend genug. Aber schlimmer empfindet es Jupiter, dass er in die Gestalt des Nebenbuhlers, des verhassten Ehemanns, schlüpfen muss, damit ihn Alkmene bei sich aufnimmt.

 

So liegt er bei der Geliebten, doch nicht als Gott, sondern als Mensch. Und Alkmene, die treue Seele, liebt in Jupiter nicht den Gott, sondern den Gatten. So ist sie treu noch in der Treulosigkeit, dem Ehemann zugehörig noch im Ehebruch.

 

Fürs Theater ist aus dieser Geschichte einiges herauszuholen. Darum haben sich die Dichter immer wieder von ihr inspirieren lassen. Äschylus und Euripides machten daraus eine Tragödie, Plautus, Molière und Kleist ein Lustspiel. Und bei Jean Giraudoux, der den achtunddreissigsten "Amphitryon" schreibt, vermischt sich das Komische wieder mit dem Tragischen.

 

Komisches und Tragisches – beides kam an der Bieler Aufführung nicht so recht heraus. Peter-Andreas Bojack hat die Geschichte eine Spur zu schlicht inszeniert. Es liegt eine vornehme Blässe über der Aufführung. Das macht sie sehr gediegen. Es fehlt ihr an komödiantischer Virilität. Das macht sie etwas langweilig.

 

Schon die Kostüme von Carlo Coene entbehren des Kontrastes, von dem jedes Lustspiel lebt. Die Schauspieler stecken in schimmernd hellen, makellosen Gewändern. Es gibt da keinen Unterschied zwischen Herr und Knecht, Gott und Mensch. Auch beim Bühnenbild – wiederum von Carlo Coene – dominiert das Einerlei. Die hellen Kleider der Figuren bewegen sich vor weissen Säulen auf hellem Grund. Und in weissen Vasen stecken weisse Blumen. Kein Unterschied zwischen aussen und innen, Nähe und Ferne – auch hier fehlt es an Kontrast.

 

Kontrastarmut zeigt sich auch im Spiel der Darsteller. Lebt das Lustspiel sonst vom Wechsel zwischen possenhaften und ernsten Tönen, so sind hier die Unterschiede weitgehend eingeebnet.

 

Kraftlos und schmalbrüstig ist die Komik der "komischen Szenen". Und damit heben sich die Auftritte von Hans Heinrich Rüegg und Kurt Bigger nicht mehr genügend von den ernsten Momenten ab. Der Fehler ist, dass sich beide Darsteller damit begnügen, den Text zu deklamieren und die komischen Elemente bloss anzutupfen.

 

Das gleiche Ungenügen zeigt Alf Beinell, der Hauptdarsteller. Er müsste zwei Rollen verkörpern, Jupiter und Amphitryon. Aber er hält seine Gestalten nicht auseinander, sondern spielt durchgehend sich selbst. Damit fehlt seinem Spiel jegliches Relief. Wir sehen nicht, wie der stolze Gott zum sterblichen Menschen zusammenschrumpft. Und umgekehrt blitzt auch nie im falschen Amphitryon ein göttlicher Funke auf.

 

Vielfältiger verstehen sich die Frauen zu geben. Schon die Magd von Karin Minet zeigt zwei verschiedene Seiten: geschäftigen Ernst und ausgelassene Freude. Ganz souverän erweist sich sodann Gerda Zangger in ihrem kurzen Auftritt als Leda. Hier kommen Text und Darstellung, Gestalt und Schauspielerin zu voller Deckung.

 

Unendlich reif und wandlungsfähig ist schliesslich Verena Leimbacher. Sie entlockt ihrer Alkmene eine Fülle von Tönen. Das Scherzhaft-Neckische steht ihr ebenso zu Gebot wie die nachdenkliche Betroffenheit. Sie kann innige Liebe zeigen, aber auch stolze Vernünftigkeit. Was die andern bloss spielten – ihr glaubt man es.

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