Ambitiöser Futurismus. © Joel Schweizer.

 

 

Brave New Life. Dennis Schwabenland.

Schauspiel.

Denniss Schwabenland. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 24. Oktober 2021.

 

> Das Stück, ambitiös futuristisch, behandelt das Thema der Transhumanität. Was das bedeutet, weiss sogar Siri beim Diktieren. "Denkfreiheit", ein Schiller-Wort, verwandelt das Programm in "Bankfreiheit". Aber mit "Transhumanität" kommt es klar. Das Wort gehört ja mit zu seiner Familie: In ihr wird das fehlerhafte menschliche Wesen "optimiert" durch künstliche Intelligenz. Auf der Bühne zeigt jetzt Dennis Schwabenlands Vierpersonen­stück, garniert mit Klängen und Video, wie der letzte Mensch untergeht. Alle andern "Seelen" wurden durch "Digitalisierung" bereits gespeichert, ent-emotiona­lisiert und unsterblich gemacht. – Interessanter als die Handlung ist für den Theaterhistoriker freilich die Tatsache, dass an diesem traurigen Uraufführungsabend nicht allein die menschliche Spezies ausstarb, sondern auch das Buh des empörten Kunstverstands. Mein Gott! In was für Zeiten sind wir gelandet! <

 

Die grösste Leistung bei Dennis Schwabenlands Uraufführung "Brave New Life" liegt darin, so zahlreiche Gönner hinter sich versammelt zu haben. Es muss da jemand viel Energie aufgebracht und Überzeugungsarbeit geleistet haben. Vielleicht der Autor selbst als sein eigener Protegé? So kam jedenfalls eine Koproduktion zustande mit den Partnern thecodes – theatercompany dennis schwabenland (wieder er!), Bernetta Theaterproduktionen, Theater Orchester Biel Solothurn, Schlachthaus Theater Bern, Kleinheater Luzern und Theater Winkelwiese Zürich. "Mit freundlicher Unterstützung", ergänzt das Programmheft, "von Kultur Stadt Bern, SWISSLOS / Kultur Kanton Bern, Migros Kulturprozent, Burgergemeinde Bern, Loterie Romande – CORODIS, Else v. Sick Stiftung, Däster Schild Stiftung, Gesellschaft zu Ober-Gerwern, SIS – Schweizerische Interpretenstiftung, Gesellschaft zu Schuhmachern. Dank an Lia Valsecchi, Nicolas Berniere, efentweil.ch, Oliver Schären, Martina Jansen, Miria Germano, RecTv.ch, FAIR & UGLY." Mit einem Wort: Bei Dennis Schwabenlands Uraufführung handelt es sich um Gremientheater.

 

Gremientheater verlangt einen grössten gemeinsamen Nenner. Im konkreten Fall heisst er: Für die Jugend! "Doch was interessiert die Jugend?", fragen die Herren und Damen Stiftungsvorstände und Kulturbeamten. Die Antwort: "Trans­humanität. Homo deus." Schon tippen die Beamtenfinger die Wörter bei Wikipedia ein, und nach wenigen Zeilen erkennen die Beamtenaugen: "Ja. Das ist's!" Aber dann, werfen die Beamtenmünder ein, muss das Stück auch so erzählt werden, dass es der Jugend gemäss sei. Also verworren, groovy, mit vielen bewegten Bildern, Mikrofonverstärkung, Sound und Stimmverfremdung; dazu Puppenspielelemente. Mit einem Wort: Crossover. Wow! Cool!

 

Und weil nun das Stück von Dennis Schwabenland für die Jugend erzählt wird, kann man an ihm in 75 Minuten studieren, wie Kinder zwischen 6 und 9 Jahren beim Erzählen vorgehen. Der logische Faden bereitet ihnen da noch Mühe. Ein Geschehen so zu organisieren, dass etwas Zusammenhängendes und Zielführendes herauskommt, interessiert sie weniger als das Erlebnis von Situationen. Und wenn sie eine Situation zu langweilen beginnt, wechseln sie schwupp! in die nächste. Dabei genügt es, die neuen Figuren und Orte zu bezeichnen: "Das ist die Wiese! Und du bist das Schaf! Bäh!"

 

Da aber "Brave New Life" in der Zukunft spielt, heisst es nun: "Du bist Doudna! Du bist Yuval! Du bist SHIGURO. Und du bist der Direktor der Divina Humanitate!" Und schon muss Milva Stark, durch 14 Spielzeiten hindurch Publikumsliebling der Berner Bühnen bis zur Auflösung des alten Schauspielensembles, wo sie die Titelrolle von Keists "Penthesilea" spielen durfte oder, unvergessen, die Mutter in der grossartigen Dramatisierung von Joseph Roths "Hiob", nun auf den Brettern der Kleintheater von Luzern oder der Winkelwiese von Zürich oder der Stadttheater von Biel und Solothurn als bösartige Master Mind röhren, dröhnen und schnauben wie weiland Fitzliputzli im Kasperletheater. Welch trauriges Karriereende! Bäh!

 

Stückeschreiber Dennis Schwabenland ist nicht nur sein eigener Protegé und Koproduzent, sondern auch sein eigener Regisseur. Wenn Einar Schleef der Jelinek half, das "Sportstück" ans Berliner Theatertreffen zu wuchten, so hat nun für "Brave New Life" der Autor keinen Counterpart – ich möchte fast vermuten: gefunden. Die Regisseure jedenfalls, die ich kenne und schätze, hätten gerufen: "Finger weg! So wie es ist, ist das Stück nicht zu retten." Trotzdem mit ihm betraut, hätten sie es, um ihren Ruf zu retten, so verändert, verfremdet und veralbert, dass es der Autor – wie es den Klassikern geht – nicht wiedererkannt hätte. Dann schon lieber, werden sich Dennis Schwabenland und die Gremien gesagt haben, alles aus einer Hand und so, wie es der Urheber gemeint hat. (Da sieht man nur, was der fatale Begriff der "Werktreue" für Unheil anrichten kann ...)

 

Natürlich darf ein Stück, das mit den Begriffen DNA, Genschere, Augmented Humanity, Brainchips und computer­optimierter Persönlichkeit spielt, nicht gut ausgehen. Das weiss jeder Freiheitstrychler und Impfgegner. So verdämmert jetzt Milva Stark als "letzter Mensch" am linken Bühnenrand, wo es soeben noch hiess, es gebe eine ganze Stadt von "nicht optimierten Menschen" namens STANO (doch bei Kinderstücken ist die Logik aufgehoben, ich weiss). Während also Milva Stark am linken Bühnenrand als "letzter Mensch" verdämmert, verdämmert auch das Licht und zeigt damit an, dass es jetzt aus ist mit dem Stück und der Menschheit. O du heilige Einfalt! Aber vielleicht das Richtige für die Jugend von heute? Die Damen und Herren Stiftungsräte und die Herren und Damen Beamten in den Kulturbüros werden schon wissen, was dem Volke frommt. Ergeben wir uns in ihre weisen Ratschlüsse und lassen wir jede Kritik beiseite, auch wenn Hans Peter Doll und Günther Erken in ihrem "kleinen Theaterlexikon" zum Stichwort "Uraufführung (UA)" vermerken: "Die Kennzeichnung UA ist für die Theater von Interesse, weil sie ihnen eine spezielle Beachtung der Kritik sichert." Im speziellen Fall jedoch mache ich, mit Verlaub, vom Ausnahmerecht Gebrauch. Sonst entstünde ein Verriss.

 

Verworren. 

Groovy. 

Crossover, wow! 

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