Das Licht trägt eine Handschrift. © Joel Schweizer.

 

 

Ferferi. Vom Ankommen und Fernbleiben. Atina Tabé.

Monolog.

Katharina Rupp, Kiana Naghshineh, Samuel Schmid. Theater Orchester Biel Solothurn.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 24. September 2021.

 

> Die Geschichte erzählt ... falsch! Nochmals: Der Monolog (richtig!), also: der assoziativ gebaute Monolog bringt zur Sprache die Forderungen, die Wut und die Leiden einer jungen Iranerin, die "bei uns" (das heisst in der Schweiz) einen Fahrausweis erwerben will, um ihr Selbstgebackenes vertragen zu können, und aus Gründen, die nicht erklärt werden, muss/will sie sich dazu einbürgern lassen. Mit dieser Ausgangslage entsteht ein Gefälle zwischen einer Bittstellerin und den Behörden, die das Recht gepachtet haben und gewähren (oder auch nicht); und diese Situation wiederum lässt sich, wenn man mag, als Clash der Mentalitäten oder Systeme oder Kulturen beziehungsweise als Konflikt zwischen menschlicher Not und harter Unmenschlichkeit auffassen. In Solothurn nimmt das Publikum den Monolog zur Gelegenheit, seine Aufgeschlos­sen­heit zu demonstrieren und durch Standing Ovations kundzutun, dass es auf der richtigen Seite stehe ... unbe­schadet der Frage, was das Stück eigentlich wert sei. Denn bei dieser Uraufführung geht es weniger ums Theater als ums Prinzip. <

 

Das Licht trägt eine Handschrift; die von Samuel Schmid. Für jeden szenischen Moment hat der Beleuchtungsmeister die Dosierung der Helligkeit und den Einfallswinkel der Strahlen millimetergenau austariert. Seine lautlose Komposition begleitet Atina Tabés One-Woman-Show, die, was die Inszenierung angeht, Katharina Rupps Handschrift trägt. Auch sie ist gekennzeichnet von Sorgfalt und Sensibilität: Feine Verschiebung der Schauspielerin im Raum und kaum merkliche (aber wirksame) Rhythmisierung des Zeitflusses; sie geben dem Monolog Abwechslung, Struktur.

 

In diesem Rahmen entfalten sich Atina Tabés verschiedene Talente. Zunächst einmal: Sie kann tanzen. Das zeigt sie in der Eingangsszene, wo sie – wie ein Cheerleadergirl seinen Stab – zwei blitzende Küchengeräte synchron zur Musik in der Luft schwingt. Darauf nimmt sie das Mikrofon und singt: persisch, deutsch und französisch (die beiden ersten Sprachen akzentfrei).

 

Atina Tabé kann auch malen. Ihre poetisch naiv gehaltenen, mit leichtem Pinsel bestrichenen Bilder hat Kiana Naghshineh durch Videoanimation verflüssigt. Nun erscheint auf der Leinwand die Übersetzung von persisch gesprochenen, ab Band eingespielten Erinnerungsbrocken der Monologfigur, die, wie das Stück, den Namen Ferferi trägt. Sie wird dargestellt von Atina Tabé. Denn spielen kann sie auch.

 

Sie erklärt die Situationen, sie schildert die Handlungen, sie kommentiert die Geschehnisse, sie gibt die Dialoge wieder und zeigt ihre Emotionen. Um das Ganze voll zu machen, schreibt sie auch. Doch damit erreicht Atina Tabé ihre Grenze: Sie ist keine Lady Shakespeare; auch keine Madame Molière oder Mamsell Nestroy. Sie ist nur eine ambitionierte Amateurin, die mit Engagement dem Freundeskreis ihr selbstgebasteltes Betroffen­heitsstück vorträgt.

 

Und der Freundeskreis nimmt das Dargebotene mit solidem Enthusiasmus entgegen. Er geht dabei nicht fehl, applaudiert er doch zum Genre einer Frauengeschichte, welche das Einwanderungs-, Migrations- und Flüchtlingsthema mit dem Kampfruf "Kein Mensch ist illegal!" verknüpft. Ein höchst löbliches Anliegen. Kritik daran beweist nur Unsensibilität, Unmenschlichkeit, falsches Bewusstsein.

 

So stehen an der Uraufführung in Solothurn alle zum Applaus auf und bekunden, dass sie das Herz am rechten Fleck haben. Ende der Kunst­kacke. Aktive Gesinnungsmanifestation.

 

Ungewollt wird der Abend jedoch auch zum Beweis für Nicolás Gómez Dávilas Beobachtung: "Nur ein offensichtliches Talent bewirkt, dass man dem Reaktionär seine Ideen verzeiht, während die Ideen des Linken bewirken, dass man sein fehlendes Talent entschuldigt."

 

Die Darstellerin und Autorin ... 

... tanzt, singt und spielt. 

 
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