"Magie Nouvelle". © Prisma Laval.

 

 

Le Bruit des loups. Étienne Saglio.

Magie.

Étienne Saglio. Théâtre du Rond-Point, Paris.

Die Stimme der Kritik für Bümpliz und die Welt, 23. November 2021.

 

> Wie häufig im Théâtre du Rond-Point steht Magie auf dem Programm, und das bedeutet (a) bumsvoller Zuschauerraum dank der Werbung von ARTE und Télérama, und (b) Menschen aus allen Schichten (Eltern, Grosseltern, Künstler, Intellektuelle, Studenten). Dazu viele Kinder um die zehn Jahre, aber nicht klassenweise, sondern in Begleitung Angehöriger; die Vorstellung beginnt nämlich zu den üblichen Theaterzeiten, das heisst um 20:30 Uhr. Dieses gemischte Publikum folgt nun einem Geschehen, das vom Zimmer in den Wald führt und damit vom Behausten ins Unbehauste. "Das wird mir Albträume geben", murmelt ein kleiner Pariser. Ob das stimmt, wird er am nächsten Morgen wissen. Sicher aber ist, dass es dem Théâtre du Rond-Point mit seiner Programmierung gelingt, sich zum Familienereignis zu machen und die Jugend mit dem Theatervirus anzustecken. <

 

Mit Zauberei kann man Dinge und Wesen herbeirufen, verwandeln, zum Handeln veranlassen und zum Verschwinden bringen. Das alles geschieht auch beim "Bruit des loups". Nur erfolgt das Ungewöhnliche hier nicht durch den Magier. Beim "Geräusch der Wölfe" beherrscht nicht der Mensch die Vorgänge, sondern die Vorgänge beherrschen ihn. Damit ist er – wie der Clown, der Träumer und das Kind – ein Opfer undurchschaubarer Zusammenhänge.

 

Was ihm auf der Bühne begegnet, ist ambivalent: vielleicht lieb, vielleicht gefährlich; vielleicht schützend, vielleicht verschlingend. So durchzieht ein Gemisch von Hoffnung und Furcht, Anspannung und Erleichterung den Abend. Aber alle erkennen sich wieder in der Situation der "Geworfenheit", wie Heidegger sagte. Dies umso auswegloser, als die rein pantomimische Vorstellung auf Sprache verzichtet.

 

Jeder, der sich in die Fremde begibt (sowohl in die Fremde anderer Kulturen wie die Fremde des Unbewussten oder die Fremde des Tier- und Pflanzenreichs) kennt die rudimentäre, oft missverständliche Kommunikation durch Gebärden und Handlungen, die Konfusionen und Komplikationen hervorruft.

 

Étienne Saglio führt die Zuschauer in einen Zauberwald. Am Anfang will ein Normalbürger nur ein paar Blätter von einer Zimmerpflanze wegschneiden, also Ordnung schaffen. Doch einmal am Boden, nimmt das Weggeschnitte Eigenleben an. Es vermehrt sich unter dem Besen, der es wegkehren will. Es wird zum Versteck einer lebendigen Ratte, dann einer zweiten. "Man weiss nicht, was für Dinge man im eigenen Haus vorrätig hat", sagt Rosa, das Dienstmädchen, in Kafkas "Landarzt", gerade bevor die Katastrophe eintritt und der Landarzt von wilden, unbekannten Pferden weggerissen wird in ein Unterwegssein, aus dem er nie mehr zurückkehren wird. Aber so verliert jeder Mensch seine Kindheit und gerät ins Offene.

 

"Le Bruit des loups" gehört zur Schule der Magie Nouvelle, die sich vor zwanzig Jahren von Frankreich aus über die Welt verbreitet hat und heute an die hundert Adepten zählt. Sie wollen die alten Tricks und Prozeduren dazu verwenden, eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit hervorzurufen. Im Théâtre du Rond-Point erkennen alle im Saal, dass das, was sie sehen, mit ihrer Alltagserfahrung nicht zu erklären ist. Dadurch bekommen sie von alt bis jung, von intellektuell bis naiv die Wirklichkeitserfahrung des Mannes ohne Eigenschaften vermittelt:

 

Er ahnt: diese Ordnung ist nicht so fest, wie sie sich gibt; kein Ding, keine Form, kein Grundsatz sind sicher, alles ist in einer unsichtbaren, aber niemals ruhenden Wandlung begriffen, im Unfesten liegt mehr von der Zukunft als im Festen, und die Gegenwart ist nichts als eine Hypothese, über die man noch nicht hinausgekommen ist. (Robert Musil)

 

Eine geheimnisvolle ... 

... Interaktion mit ...

... den Naturwesen. 

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